Im Leid erleben wir Gottes Gegenwart

Hiob sagt: „Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen (Hiob 42,5).

Wie hat Hiob Gott gesehen? Gott zeigt ihm anhand der Natur, dass er alles vermag und nicht mit menschlichen Maßstäben beurteilt werden kann. Hiob hat keine göttliche Gestalt gesehen (vergleiche 2. Mose 33,20). Äußerlich hat sich für Hiob nichts geändert. Doch innerlich ist er ein anderer geworden.

Der Schlüssel zu dieser Veränderung liegt nicht im Verstehen, sondern in der Gotteserfahrung. Gott gibt Hiob keine Antwort, er ist die Antwort. Das Gottes-Bild von Hiob ist wieder hergestellt.

Der Unterschied zwischen Hiob und seinen Beratern besteht darin, dass diese ihr Weltbild ordnen wollen. Sie wollen Gott einordnen. Hiob dagegen will nicht über Gott, sondern mit Gott reden und sehen, wie Gott ist (Hiob 19,25).

Gott und das Leid können wir nicht intellektuell erkennen, sondern nur seine Hilfe in unserer Begrenztheit erleben.

Ein religiöser Mensch macht die Erfahrung, dass Gott seine Bitten nicht immer wunschgemäß erhört. Gott mutet den Menschen Leid zu. Daraus folgern manche, sie seien von Gott verworfen oder verachtet. Doch die Wirklichkeit ist eine andere. Im Leiden findet für den Glaubenden eine Wandlung statt. Im Leiden wächst die Sehnsucht nach Gott. Und ihr entspringt eine Liebe zu Gott, weil wir unsere Begrenztheit erfahren und Gottes Zuneigung die Antwort auf unsere offenen Fragen ist.

Bei Hiob geht es nicht um Schuld oder Unschuld. Hiob muss sich nicht länger unter Beweis stellen. Es ist eine neue Freiheit, weil er nicht mehr Gott erfassen will, sondern Gott ihn in seiner Hand hält (Johannes 10,29). Durch die Reden Gottes ist Hiob seiner falschen Auffassung bewusst geworden, dass nicht seine eigene, menschliche Wahrnehmung das Maß der Dinge ist.

Glauben heißt nicht, Antworten zu haben, sondern die Bereitschaft, mit offenen Fragen auf Gott zu vertrauen. Glauben bedeutet, mit der Gewissheit Gottes im Ungewissen zu leben. Es gibt keine vorgefertigten Antworten, nur das Gespräch mit Gott.

Indem Hiob am Schluss für seine Freunde betet, legt er alle offenen Fragen in Gottes Hände. Er macht sich frei von allen irritierenden Gedanken und richtet seine Augen auf Gott, damit ER seine Füße aus dem Netz befreien kann (Psalm 25,15).

Insofern hat das Leiden den Sinn, uns vom Zwang des Alles-Verstehen-Wollens zu befreien und Gott zu vertrauen. Daraus erwächst eine absichtslose Liebe zu Gott. Sie ist das Gegenteil von dem, was Satan säen wollte – nämlich die Aussage, dass Hiob nur mit Gott lebt, weil er davon profitiert (Hiob 1,9).

Viele denken, nur Vollkommens verdiene Liebe. Doch Gott liebt uns, weil wir sind. Und weil er uns liebt, möchte er uns dorthin führen, dass auch wir ihn lieben, weil er ist. Wer von dieser Liebe erfasst wird, möchte werden wie er (Johannes 17,23).

Ausgerechnet im Leiden von Jesus für uns offenbart Gott seine Liebe. Die Herrlichkeit Gottes ist im Lamm Gottes (Jesus) sichtbar (Offenbarung 21,23). Der Verzicht auf Machtausübung ist die Einladung zu hingebungsvoller Liebe und zur Gemeinschaft mit ihm.

Siehe auch:
Leid ist eine Konsequenz der Liebe Gottes
Durch Leid entsteht die Erkenntnis über Gut und Böse
Heilung bedeutet nicht Heil
Leiden fördert Glauben 
Im Leid erleben wir Gottes Gegenwart

Glauben im Angesicht des Leidens

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