Jom Kippur – Der Versöhnungstag

Wie alle Tage im jüdischen Kalender beginnt der Versöhnungstag am Vorabend des eigentlichen Feiertages, des 10. Tischri (2023: Montag 25.September). Er bezieht sich nicht auf historische Ereignisse oder Gegebenheiten wie Saat und Ernte, sondern allein auf das Verhältnis des Menschen zu seinem Schöpfer, vor dem er sein Leben und auch das seiner Mitmenschen zu verantworten hat. 

Gottesverhältnis
In der rabbinischen Lehre wird über den Jom Kippur gesagt: «Sünden zwischen Menschen und Gott sühnt der Jom Kippur, Sünden zwischen den Menschen sühnt er nicht.» Es ist ein Tag, an dem es einzig um das Verhältnis zwischen Gott und Mensch geht. Deshalb klärt der Mensch alle Beziehungen, damit er von seinem Gott Gnade erwarten kann. Darum bewegt ihn die Frage: Wurde alles an- und ausgesprochen, was zu sagen und zu bekennen notwendig war? Der religiöse Jude weiß, dass Sünde die tödliche Bedrohung seines Lebens ist. Als Zeichen der Buße tragen die Männer ihr eigenes, für ihren Tod vorgesehenes weißes Totengewand oder den Gebetsmantel (Tallit) in der Synagoge.

Abendgottesdienst
Der Vorbeter beginnt den längsten aller Abendgottesdienste mit der Einstimmung und dem feierlichen Gesang des Kol Nidre (Hebräisch für «alle Gelübde»). Sein Inhalt ist die Bitte, dass Gott die hier Versammelten von allen Gelöbnissen befreien möge, die man in der Not oder in der Freude, in Sehnsucht und Erwartung oder in Angst und Verzweiflung vor Gott ausgesprochen hat und dann doch nicht halten konnte. Dabei sind nur die Gelübde gemeint, die zwischen dem Menschen und Gott abgelegt wurden und die keine Rechte und Ansprüche eines anderen Menschen berühren. Die Gläubigen werden mit dem Ruf des Schofars aus der Synagoge entlassen.

Fastentag
Jom Kippur ist der strengste Fastentag im jüdischen Jahr. Vom Fasten sind nur Schwerkranke, kleine Kinder und Wöchnerinnen ausgenommen. Alle anderen haben sich an das strenge Fastengebot zu halten. Sie dürfen sich weder baden noch gründlich waschen, keine Kosmetika oder Körperpflegemittel benutzen, sich keinen Genuss gönnen und weder Lederschuhe noch luxuriöse Kleidung tragen.

Morgengottesdienst
Im Morgengottesdienst kommt Jesaja 58 zur Sprache, wo die eigentliche, von Gott gewollte Bedeutung des Fastens aufgezeigt wird. In den Zusatzlesungen geht es um die Einsetzung des Versöhnungstages für Israel und den hohepriesterlichen Dienst in der Stiftshütte (3. Mose 16). Auf diese Weise wird in der jüdischen Gemeinde die Erinnerung an den Tempel und seinen Sühnedienst mit den Tieropfern wach gehalten. Es musste Leben geopfert werden, damit Gott Leben erhalten konnte. Es musste Blut vergossen werden, damit der Mensch und das Volk Israel wieder rein wurden von ihren Sünden (3. Mose 16,30).

Opferdienst
Zur Zeit des Tempels wurde ein Ziegenbock für die unerkannten Sünden des ganzen Volkes geopfert (3. Mose 16; Hebräer 9,7). An Stelle des dreimaligen Opferdienstes im Tempel trat im rabbinischen Judentum der dreimalige Gebetsdienst. Der Tempel- und Opferdienst wurde durch die täglichen Gebete und den Synagogenbesuch abgelöst. Wer jüdisch lebt, schafft sich damit die Voraussetzung für Gottes Gnade. Mit Gebeten und Tzedaqa (Wohltätigkeiten) wird ein Ausgleich für die Versäumnisse gegenüber Gott geschaffen. Da der Mensch nach rabbinischer Lehre an sich gut ist, braucht er kein stellvertretendes Sühneleidens durch einen Erlöser.

Einige ultra-orthodoxe Gemeinschaften schwingen am 9. Tischri ein Huhn über dem Kopf der Gläubigen. Dadurch sollen die Sünden auf das Opfertier übergehen, welches anschießend geschlachtet wird. Diese traditionelle „Kapparot“ (Sühne) Zeremonie zeigt das Bewusstsein, das für Vergebung der Sünden Blut fließen muss. Da nach rabbinischer Lehre auch eine Geldspende genügt, ist diese Tradition in Israel umstritten. Einige Juden nehmen auch die Geldscheine und schwingen sie über dem Kopf.

Einige ultraorthodoxe Juden beten am Strand oder Ufer eines Flusses, das Taschlich-Ritual (vgl. Artikel Rosch HaSchana), um sich von ihren Sünden zu befreien. In Anlehnung an Micha 7,19: »Du wirst all unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.«

An Jom Kippur wird auch an die Begebenheit gedacht, als Mose für das Volk Israel vor Gott einstand und Gott zu Mose sagte: „Ich habe vergeben, wie du es erbeten hast“ (4. Mose 14,20). Anstatt das Volk zu vernichten, baute Gott auf die nächste Generation.

Vergebungshoffnung
Jom Kippur endet mit der Vergebungshoffnung, aber nicht mit Vergebungsgewissheit. Denn es heißt im Talmud: «Die Sühne erfolgt nur durch das Blut» und in 3. Mose 17,11: «Das Blut ist die Versöhnung, weil das Leben in ihm ist.» Das Blut musste auf den Sühnedeckel der Bundeslade gesprengt werden (3. Mose 16,15) und auf den Altar (Vers 18). Darauf verweist auch der Hebräerbrief im Neuen Testament: «Ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung» (Hebr. 9,22).
In Jeschua (Jesus), der sich selbst als jüdischer Messias verstand, empfängt der Glaubende den Zuspruch: «Dir sind deine Sünden vergeben!» (Matthäus 9,2). Offen bleibt, ob die Christen in ihren Gottesdiensten die tiefe Betroffenheit über die persönliche Schuld noch erleben, in der die schmerzhafte Reue und der ehrliche Wille zur Umkehr Ausdruck finden, wie dies beim jüdischen Volk am Jom Kippur der Fall ist. Vergleiche auch: Mega geliebt

Orthodoxe Juden schwingen ein Huhn am 9. Tischri

Orthodoxe Juden schwingen des Huhn über dem Kopf und es werden Brotkrümmel ins Wasser geworfen, um Vergebung zu erlangen.

Vergebungsgewissheit
Vergebungsgewissheit erhält der Mensch nur durch Gott selbst. Vergebung kann man nicht produzieren. In der Bibel steht, dass der Mensch sie alleine in der Beziehung zum verheißenen Messias erhält. Er hat seine Jünger beauftragt, bußfertigen Menschen in seinem Namen Sündenvergebung zuzusprechen (Johannes 20,23; 1. Johannes 1,7- 9).
Der Gottesdienst in der Synagoge schließt mit dem Schema-IsraelGebet («Höre Israel» nach 5. Mose 6,4) als Ausdruck der Vergebungshoffnung. Wenn sich die Tore des Jom Kippur schließen, dann werden nach rabbinischer Tradition auch bei Gott die Bücher über die Schicksale der Menschen im folgenden Jahr geschlossen.
Messianische Juden beten am Jom Kippur in besonderer Weise um die Rettung des jüdischen Volkes. Wenn auch jetzt schon viele einzelne Juden zum Glauben an ihren Messias finden, so wird ein Tag verheissen, an dem ganz Israel den Messias anerkennen wird (Sacharja 12,10; Römer 11,25-26; Offenbarung 1,7).

Text von Hanspeter Obrist

Klagemauer Jom Kippur

Feier nach dem Jom Kippur am Abend:

Englische Erklärung vom Jom Kippur der Chabbad Bewegung: Video hier klicken

Schema Israel

Gebet vor dem Yom Kippur 2019

https://www.facebook.com/hnaftali/videos/660772640995857/

https://www.facebook.com/hnaftali/videos/377970179814342/

Jüdische Feste:
Rosch HaSchana – Jüdisches Neujahr
Fasten des Gedalja
Jom Kippur – Der Versöhnungstag
Sukkot – Das Laubhüttenfest
Chanukka – Das jüdische Lichterfest
Tu BiSchwat – Das Neujahrsfest der Bäume
Purim – Ende des Antisemitismus – Überwindung vom Fremdartigen
Pessach / Passah – Die Befreiung
Tischa BeAw – Tröstet mein Volk
Unzählbare Feste doch nur drei gesetzliche Feiertage in Israel

Ein Gedanke zu „Jom Kippur – Der Versöhnungstag“

  1. Lieber Hanspeter, ein sehr schöner und sympatischer Artikel, von dem sogar ich als Jude (wenn auch säkular) gelernt habe. Er unterstreicht deine Freundschaft zu uns Juden ohne die Grundlagen des heutigen Christentums zu verlassen. Danke schön. Herzlichst, Uri

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