Schawuot und Pfingsten

Die Bibel berichtet, dass die Jesus-Gläubigen am Schawuot-Tag, dem Tag, an dem sich das jüdische Volk an den Empfang der Torah erinnert, den Heiligen Geist empfingen. Was hat das zu bedeuten?

In biblischer Zeit waren die drei Erntefeste Passah, Schawuot und das Laubhüttenfest mit Wallfahrten nach Jerusalem verbunden. An Passah dankte man für die Gerstenernte und erinnerte sich an den Auszug aus Ägypten. An Schawuot dankte man für die Weizenernte und gedachte an den Empfang der Torah. An Sukkot, dem Laubhüttenfest, dankte man für die Ernte von Wein und Obst und erinnerte sich an Gottes Fürsorge in der Wüste.

In 5. Mose 16,16-17 heißt es: Dreimal im Jahr soll alles bei dir, was männlich ist, vor dem HERRN, deinem Gott, erscheinen an der Stätte, die er erwählen wird: am Fest der ungesäuerten Brote und am Fest der Wochen und am Fest der Laubhütten. Und man soll nicht mit leeren Händen vor dem HERRN erscheinen: 17 jeder nach dem, was seine Hand geben kann, nach dem Segen des HERRN, deines Gottes, den er dir gegeben hat.

In 3.Mose 23,15 wird der Zeitpunkt angegeben: „Ihr sollt für euch zählen von dem Tag nach dem Sabbat, von dem Tag, an dem ihr die Garbe fürs Schwingopfer gebracht habt: Es sollen sieben volle Wochen sein.“

Sieben mal sieben ergibt 49 Tage. Am fünfzigsten Tag (Pfingsten) soll das Fest der Wochen, Schawuot, gefeiert werden. „Schawua“ heißt auf Hebräisch „eine Woche“ und „Schawuot“ sind „mehrere Wochen“. Die Zahl 49 steht im Judentum für das natürliche Ende eines vollen Zyklus oder eines vollen Maßes. Das hebräische Wort für „Maß“ ist „middah“, und dieses Wort hat den numerischen Wert 49 (m 40 / d 4 / h 5). Die Zahl 49 steht somit für den Inbegriff eines vollendeten Maßes.

Die Zahl 50 steht für Vereinigung. Im 50. Jahr war das Jubeljahr, in dem das Getrennte wieder vereinigt wurde. In 3.Mose 25,10 heißt es: „Ihr sollt das Jahr des fünfzigsten Jahres heiligen, und sollt im Land Freilassung für all seine Bewohner ausrufen. Ein Jobeljahr soll es euch sein, und ihr werdet jeder wieder zu seinem Eigentum kommen und jeder zu seiner Sippe zurückkehren.“

Der fünfzigste Tag, Pfingsten (griechisch: Πεντηκοστή pentäkostä, wörtlich „Fünfzigster“), weist daher auch auf das Jubeljahr hin, in dem alle Sklaven wieder frei und alle Schulden erlassen wurden.

Nach rabbinischer Überlieferung empfing Israel am 50. Tag nach dem ersten Passah die Offenbarung der Torah am Gottesberg (Matan Torah).

Durch die Gesetzgebung und den Bund, den das Volk mit Gott schloss, wurden die Israeliten zu Gottes Volk. Dabei versprachen sie, alles zu tun, was der Herr ihnen geboten hatte (2. Mose 19,8 „Das ganze Volk antwortete einstimmig und erklärte: Alles, was der HERR gesagt hat, wollen wir tun.“). Schawuot ist somit die Geburtsstunde Israels als Bundesvolk Gottes.

Es soll ein Volk von Priestern für den lebendigen Gott sein (2. Mose 19,6 „Ihr aber sollt mir als ein Königreich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören.“). In der Synagoge werden deshalb während Schawuot die Kapitel 19 und 20 des zweiten Buches Mose gelesen.

Es ist Brauch, Synagogen oder Häuser mit frischem Grün zu schmücken, da der Sinai laut dem Midrasch angeblich plötzlich erblühte, als die Torah gegeben wurde.

Man bleibt die ganze Nacht hindurch wach, um das mosaische Gesetz zu studieren. Die Rabbiner geben als Grund dafür an, dass es während der Gesetzgebung am Sinai blitzte und donnerte, wodurch die Israeliten die ganze Nacht hindurch wach gehalten wurden.

Ein weiterer Brauch während dieses Festes ist der Verzehr von Kreplach, dreieckigen Teigtaschen, die Maultaschen oder Ravioli ähneln, sowie von vorwiegend aus Milch hergestellten Produkten. Der Grund dafür ist, dass das hebräische Wort für Milch „Chalaw“ numerisch den Wert 40 ergibt. Mose blieb 40 Tage lang auf dem Gottesberg.

Einige Juden tragen an Schawuot weiße Kleider, um sich daran zu erinnern, dass sich die Israeliten heiligten, bevor sie die Torah in Empfang nahmen.

Heute wird Schawuot in Israel als ein fröhliches Volksfest gefeiert. Die messianischen Juden treffen sich zu einem Picknick im Wald.

Als der Heilige Geist an Pfingsten mit starkem Brausen, vergleichbar mit dem Heulen eines Orkans, auf die Jünger herabkam, waren Juden aus allen Ländern der Welt in Jerusalem zusammengekommen, um an Schawuot ihre Erstlingsgabe darzubringen.

Die Menschen hörten einen Donner, wie er in 5. Mose 5,22 und 2. Mose 19,16 beschrieben ist, als die Stimme Gottes ertönte. Woran musste ein Jude deshalb gedacht haben? Wahrscheinlich an den Bundesschluss am Sinai, an dem Gott die Zehn Gebote und die Torah gab und eine ähnliche Erscheinung stattfand.

In Jerusalem kam die Herrlichkeit Gottes zu den Menschen, jedoch nicht Angst einflößend wie am Gottesberg, sondern Neugier erweckend.

So wie Gott dem Volk Israel damals bei der Gesetzgebung im Feuer erschien (2. Mose 19,18), wurde Gottes neues Gesetz (Jeremia 31,31-33 / Hesekiel 36,26-27/ Römer 8,2) an Schawuot in Jerusalem durch Feuerzungen sichtbar.

Petrus erklärte den verwunderten Zuschauern, dass sich die Prophetie aus Joel 3,1-2.5 erfüllt, indem alle Gottes Geist empfangen können.

Nach Jeremia 31,33 wird Gottes Gesetz in die Herzen der Menschen geschrieben: „Ich lege mein Gesetz in ihr Inneres und werde es auf ihr Herz schreiben.“ Und in Hesekiel 36,26 heißt es: „Ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres geben; und ich werde das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.“

Gott hob auch die Sprachbarriere auf. Gemäß jüdischer Überlieferung stammt die gesamte Menschheit von den 16 Nachkommen Noahs ab. Im Bericht von Pfingsten werden 16 Sprachgruppen genannt, die die Worte der Jünger hören und verstehen konnten. Damit soll deutlich gemacht werden, dass von nun an die gesamte Menschheit – Juden und Nichtjuden – die Botschaft Gottes ohne Sprachbarriere hören soll. Durch den Heiligen Geist wurde Gott für alle Menschen erfahrbar. Jesus hat in Johannes 16,8 verheißen: „Und wenn er gekommen ist, wird er die Welt überführen von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht.“

Mit dem Kommen des Heiligen Geistes auf die Nachfolger Jesu wurde die Gemeinde – ein Volk von Priestern (2. Mose 19,6) – geboren (Apostelgeschichte 2). Damit wurde die messianische Bedeutung des Festes erfüllt.

An Schawuot goss Gott den Heiligen Geist auf übernatürliche Weise über die Nachfolger Jesu aus. Dadurch wurden sie befähigt, ein heiliges, vom Geist geleitetes Leben zu führen und seine Zeugen zu sein – in Jerusalem, in ganz Judäa und Samarien und bis an die Enden der Erde!

Der Heilige Geist verändert uns. Paulus schreibt in 1.Thessalonicher 4,3: „Das ist Gottes Wille: eure Heiligung.“ In Hebräer 12,14 steht: “Jagt dem Frieden mit allen nach und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn schauen wird“.

Gottes Geist gibt uns einen neuen Blick für Gott und unsere Mitmenschen. Wir befinden uns in einem ständigen Veränderungsprozess.

An Schawuot werden auch zwei gesäuerte Brote, die sogenannten „Schtei ha-Lechem“, in den Tempel gebracht und geopfert. Diese Brote können so verstanden werden, dass sie Juden und Nichtjuden repräsentieren.

An Schawuot wird in den Synagogen auch das Buch Ruth gelesen, also die Geschichte jener Frau, die als Nichtjüdin aufgrund ihrer Treue zu ihrer jüdischen Schwiegermutter, ihrer Liebe zum Volk Israel und durch die Heirat mit Boas in Gottes Volk aufgenommen wurde. Ruth wurde sogar die Urgroßmutter von König David. Deshalb ist Schawuot auch das Fest der aufgenommenen Nichtjuden in Israel.

Für die Nachfolger von Jesus wurde durch das Kommen des Heiligen Geistes die Trennung zwischen Juden und Nichtjuden aufgehoben (Epheser 2,18; 1. Korinther 12,13; Galater 3,28). So wird uns Gottes umfassende Liebe zu allen Völkern bewusst.

Bei der ersten Gesetzgebung starben aufgrund des Ungehorsams mit dem Goldenen Kalb 3000 Menschen (2. Mose 32,28). Als das Gesetz durch den Heiligen Geist ins Herz geschrieben wurde, fanden 3000 Personen zum Glauben und zu einem neuen Leben (Apostelgeschichte 2,41).

Pfingsten setzt nicht den Fokus auf Jesus, sondern auf unsere Erfahrung mit Gott. Gott ist nicht fern, sondern wirkt in und durch uns. Jesus sagt in Johannes 14,23: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen.“

Das Versprechen von Jesus wurde eingelöst: „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, dass er bei euch ist in Ewigkeit, 17 den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht noch ihn erkennt. Ihr erkennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein (Johannes 14,16-17).

Die Jünger Jesu verstanden nun Gottes Wirken und erzählten von den großen Taten Gottes (Apostelgeschichte 2,11).

Immer wenn in der Bibel etwas Fahrt aufnimmt, Kraft entwickelt oder aufbricht, ist der Heilige Geist im Spiel. Diese Kraft dürfen wir täglich in Anspruch nehmen. Was für ein Geschenk.

Hanspeter Obrist, Juni 2025

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