Justizreform in Israel

13.9.23 Historisch, dramatisch, zukunftsweisend – so und nicht anders ist die Anhörung vor dem Obersten Gerichts Israels am 12. September zu beschreiben. Die Richter haben 90 Tage Zeit, um ein Urteil zu fällen. Allgemein wird aber damit gerechnet, dass sie womöglich schon nach dem Ende der Hohen Feiertag ihre Entscheidung bekannt geben. Die Likud-Partei hat am selben Tag sehr klar erklärt, dass das Gericht eine «rote Linie» überschreiten würde, wenn es das Gesetz zurückweist. Wie schon in den letzten Tagen immer wieder, so war auch diese Äusserung eine klare Ansage, dass die Regierung ein Nein nicht akzeptieren würde. Die Staatskrise droht. Mit nicht abzusehenden Folgen.

12.9.23  Am Dienstag 12.9.23 kommt erstmals in der Geschichte des Staats Israels alle 15 Richter zusammen, um zu entscheiden, ob ein von der Knesset erlassenes Grundgesetz aufgehoben werden soll oder nicht. Wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist, ist noch unklar. Es wird erwartet, dass die Beratungen mehrere Wochen dauern könnten. In Israel sind die Grundgesetze gleichbedeutend mit einer Verfassung. Daher können sie nur durch das Parlament selbst geändert werden. Wenn der Oberste Gerichtshof das Gesetz verwirft, würde das den gesamten demokratischen Prozess der Wahlen zerstören, weil die gewählten Parlamentsmitglieder irrelevant werden, weil sich eine Gruppe von 15 Richtern über sie stellt.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahus Regierung hatte Ende Juli die Änderung eines Grundgesetzes verabschiedet, die dem Obersten Gericht die Möglichkeit nimmt, gegen «unangemessene» Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister vorzugehen. Die Richter müssen also darüber entscheiden, ob die letzte Autorität der Gesetzgebung nicht mehr bei ihnen liegt.

Den Berichten zufolge sieht der mögliche Kompromissvorschlag unter anderem vor, das verabschiedete Gesetz zu überarbeiten und weitere Teile des umfassendes Gesetzesvorhabens für 18 Monate auf Eis zu legen.

24.8.23 Die Krise in Israel um die Justizreform hat nicht nur den Widerstand gegen die Reform, nicht nur gegen die derzeitige Koalition, sondern auch gegen die Idee der Souveränität einer demokratisch gewählten Regierung selbst entfesselt.

Dies wurde kürzlich in einem Interview deutlich, in dem Kobi Richter, ein pensionierter israelischer Geschäftsmann, seine Überzeugung zum Ausdruck brachte, dass dank des Widerstands des Militärs und der Wirtschaftselite die Regierung, von der er behauptet, sie habe ohnehin keine Befugnisse, gestürzt werden wird.

Richter will eine lebendige Demokratie in eine autokratische Plutokratie verwandeln. Er ist zuversichtlich, dass dies gelingen kann, weil die wirkliche Macht und damit die Legitimität vom Militär und vom Großkapital ausgeht. Sie haben die Kontrolle, nicht die Regierung. Daher ist es eine ausgemachte Sache, dass die Regierung schließlich fallen wird.

Für jeden, der die Idee und die Realität der Demokratie schätzt, ist Richters Aussage erschreckend. Der Glaube, dass Geld zu Macht und Macht zu Kontrolle führt, ist die Grundlage für Militärputsche. mehr Informationen

24.7.23 Die Justizreform ist mild: Es heißt lediglich, dass die Justiz in einem Land ohne schriftliche Verfassung ein Gesetz nicht einfach mit der Begründung „verfassungswidrig“ als ungültig erklären kann.

Stellen wir uns vor, dass der Oberste Gerichtshof eines Landes regelmäßig von der Bevölkerung verabschiedete Gesetze auflöst, ohne etwas anderes als seine eigene Meinung darüber zu äussern. Das ist derzeit die Situation.

Aufgrund der unvorhersehbaren Art und Weise, wie das Gericht und die rechtlichen Dokumente und Verträge interpretiert wurden, blieben internationale Investoren von Israel fern. Es fehlt die Rechtssicherheit.

Abgesehen davon, werden die Gesetze in Israel am Laufmeter geändert. Es ist aber schwierig, wenn einige Richter, die Arbeit eines ganzen gewählten Parlaments ohne gesetzliche Grundlage aushebeln kann.

Es geht darum, dass alle Menschen in Israel durch ihr Justizsystem vertreten und gehört werden, nicht nur die liberalen Kräfte.

Die Knesset hat den ersten Gesetzentwurf zur Justizreform verabschiedet. Die gewählten Mitglieder der Opposition verließen das Plenum vor der Schlussabstimmung, sodass der Gesetzentwurf keinen registrierten Widerspruch hatte und mit 64:0 angenommen wurde. Wenn in einem Land eine Minderheit mit Drohungen ihren Willen durchsetzen kann, nennt man das nicht mehr eine Demokratie, sondern eine Diktatur.

Israel wird nicht zusammenbrechen. Es wird nicht zum Bürgerkrieg kommen. Es wird weiterhin ein zerstrittenes und chaotisches Land voller rechthaberischer Menschen sein, die miteinander kämpfen und dann Arak und Chamin und Cholent und Falafel teilen.

«Eine grosse europäische Studie zeigt, dass jene, die sich für besonders offen halten, andere politische Meinungen am wenigsten akzeptieren. Sie tragen damit massgeblich zur zunehmenden Polarisierung bei.» Geht es um andere Meinungen, sind Linke intoleranter als Rechte. Dieses Fazit zieht eine grosse Studie in zehn europäischen Ländern. Eine freie Gesellschaft muss radikal andere Meinungen aushalten. Das trägt dazu bei, dass Kompromisse gefunden werden, die von einem grösseren Teil der Gesellschaft mitgetragen werden.

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