Jeder Mensch ist ein Gedanke Gottes

Psalm 139,13-24, von König David:

Du selbst hast mein Innerstes geschaffen, hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter. 14 Ich danke dir, dass ich so staunenswert und wunderbar gestaltet bin. Ich weiß es genau: Wunderbar sind deine Werke. … 16 Als ich noch gestaltlos war, sahen mich bereits deine Augen. In deinem Buch sind sie alle verzeichnet: die Tage, die schon geformt waren, als noch keiner von ihnen da war. 17 Wie kostbar sind mir deine Gedanken, Gott! Wie gewaltig ist ihre Summe! 18 Wollte ich sie zählen, sie sind zahlreicher als der Sand. … 24 Leite mich auf dem Weg der Ewigkeit!“

Das Bild aus Psalm 139 ist eindrücklich. Selbst wenn du kein Wunschkind bist und deine Eltern dich nicht erwartet haben, Gott hat auf dich gewartet. Er hat sein Ja zu dir gegeben. Er hat sich danach gesehnt, dass du bist (Vers 16).

Eine Person, die nicht aus dem christlichen Umfeld stammt, erhielt von jemandem einige Bibelstellen zum biblischen Menschenbild. Nachdem sie diese studiert hatte, war sie erstaunt, welch positives Menschenbild die Bibel postuliert.

Welches Menschenbild prägt uns?

Weit verbreitet ist die Vorstellung, dass wir eine Laune der Natur sind. Der 27-jährige indische Geschäftsmann Raphael Samuel aus Mumbai wollte im Jahr 2019 seine Eltern verklagen, weil sie ihn ohne seine vorherige Zustimmung geboren haben. Seine Eltern, zwei Anwälte, hätten ihn zu ihrem eigenen Vergnügen gezeugt, wirft er ihnen vor – doch Kinder müssten ein Leben lang leiden und sollten deshalb entschädigt werden. Seine Mutter Kavita Kamal Samuel argumentiert nicht ohne Ironie: Hätte sie die Chance gehabt, ihn schon vor seiner Geburt zu treffen, hätte sie ihn sicher nicht geboren. Auch wenn es surreal klingt, haben wir nicht auch schon das Argument gehört: Der Planet müsse vom Menschen erlöst werden?

In der Schule lernen wir die Evolution. Betrachtet man diese Theorie in ihrer Konsequenz, ist fertig lustig. Der Starke soll überleben, der Schwache muss weichen. Mitleid hemmt den Fortschritt. Hitler wollte dies umsetzen. Er wollte einen „Edelmenschen“ schaffen. Alles aus seiner Sicht „unwerte Leben“ sollte vernichtet werden.

Im Judentum ist der Mensch von Natur aus gut. Denis Prager schreibt im Buch „Judentum heute“: „Die Vorstellung, dass wir als Sünder geboren wurden, ist alles andere als jüdisch. Jeder Mensch wird unschuldig geboren. Er selbst trifft die Wahl zu sündigen oder nicht“ (S.75).

Von diesem Hintergrund her kam Marx als Jude in seinem Konzept vom Kommunismus auf die Idee, dass sich der Mensch positiv entwickeln müsse, wenn er von schlechtem Einfluss ferngehalten wird. Eine ähnliche Idee prägte auch den Kibbuz-Gedanken.

Die Vorstellung, dass der Mensch von Natur aus gut ist, aber durch die Zivilisation und gesellschaftliche Einflüsse verdorben wird, vertrat auch Jean-Jacques Rousseau. Er war Schriftsteller und politischer Philosoph aus Genf und gilt als einer der wichtigsten geistigen Wegbereiter der Französischen Revolution sowie als geistiger Begründer des europäischen Sozialismus. Rousseaus berühmtestes Zitat lautet: „Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten“. Er war der Ansicht, dass der Menschen im „Urzustand“ fähig ist, ohne Gesetze, Vorschriften oder Strafandrohungen auszukommen. Sein eigenes Leben war eine Odyssee und seine fünf Kinder verschwanden alle im Waisenhaus. Sein Umgang mit anderen Menschen, spricht nicht für seine Theorie.

Weder der Kommunismus noch die Kibbuzim ließen einen neuen Menschen entstehen. Schon vor 25 Jahren sahen wir in Israel, dass die Kibbuzim nicht funktionierten, weil sich nicht alle selbstlos einbrachten, sondern egoistisch für sich schauten.

Schwierig ist auch das praktische materialistische Denken, das den Menschen danach bewertet, ob und inwieweit er Vorteile und Gewinne bringt. Wer Kosten verursacht, der ist dann im wörtlichen Sinne minderwertig und wird bestenfalls noch geduldet. Im Jahr 2023 warf der Film «Plan 75» in Japan die Frage auf, ob sich die über 75-Jährigen zugunsten der Gesellschaft verabschieden sollen. Bereits im Jahr 2013 sagte der damalige japanische Finanzminister Taro Aso: Die Alten sollen sich „beeilen und sterben“, um den Staat von der Last der medizinischen Versorgung zu befreien. Er selbst ist heute 85 Jahre alt. Ob er immer noch so denkt?

Dann gibt es immer wieder Anarchisten und Autonome, die alle Ordnungen auflösen wollen. Sie möchten alle Unterschiede zwischen den Menschen einebnen. Einige wollen einfach vom Geld der anderen leben, ohne selbst etwas zur Allgemeinheit beizutragen. Sie jagen der Illusion von absoluter Gleichheit, Freiheit und Unabhängigkeit nach. Doch wenn man alle Unterschiede aufhebt, endet es im Chaos und Faustrecht. Jeder wählt selbst, was er sein will und was für ihn gilt. Damit ist alles im Fluss und was heute gilt, kann morgen schon wieder anders sein. Es gibt keine Rechtssicherheit. Es herrscht Verwirrung und Verirrung.

Es gibt auch Strömungen, welche die Gesellschaft transformieren wollen. Man hängt der Illusion nach, dass jeder Mensch zu allem geformt werden kann. Wenn alle die gleichen Bildungschancen haben, können alle alles werden. Dabei ignoriert man, dass nicht jeder die gleichen Begabungen mitbringt und es körperliche Unterschiede gibt.

All diese Menschenbilder widersprechen in extremer Weise dem Bild des Menschen, das uns Gott vermittelt. Gott bewertet den Menschen nicht nach seiner Nützlichkeit. Vor Gott gibt es keine Unterschiede im Wert und der Würde des Menschen.

Jeder einzelne Mensch steht im Blickpunkt. Jesus wendet sich mit seinem Evangelium an den Einzelnen. Jeder Mensch wird von Gott wahrgenommen, angesprochen und geliebt – und Gott wartet auf seine ganz persönliche Antwort.

Das Menschenbild in der Bibel betont, dass der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen ist (1.Mose 1,27). Er hat einen freien Willen und die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen. Er ist nicht nur ein körperliches Wesen, sondern auch geistig und seelisch, und hat eine besondere Würde und Verantwortung.

Als Ebenbild Gottes haben wir eine einzigartige Verbindung zu Gott und in uns spiegeln sich Gottes Eigenschaften wider. Gott hat in einzigartiger Weise „selbst Hand angelegt“ und uns Menschen mit seinem Geist seine Gottesähnlichkeit eingehaucht. Die Tatsache, dass der Mensch ein Ebenbild Gottes ist, das ist seine Würde, seine „Menschenwürde“! Wer sich an einem Menschen vergreift, der vergreift sich an Gottes Ebenbild und damit indirekt an Gott! (1.Mose 9,6). Als Ebenbild Gottes widerspiegelt der Mensch dessen Wesenseigenschaften wie Liebe, Treue, Gerechtigkeit, Geduld, Güte und die Fähigkeit zur Empathie.

Der Mensch kann konstruktiv denken. Er kann Dinge aufzeichnen und über Generationen weitergeben. Er kann aus Erzählungen lernen, die außerhalb seiner Erfahrung und Wahrnehmung liegen. Eigenschaften, über die ein Tier nicht verfügt.

Der Mensch hat einen freien Willen und kann sich für das Gute entscheiden. Er kann sich für oder gegen Gott entscheiden. Er kann ihn suchen oder ignorieren.

Die Bibel zeigt, dass Menschen unterschiedliche Stärken und Schwächen haben, aber auch, dass jeder Mensch einzigartig ist und über eigene Talente und Fähigkeiten verfügt.

Die Bibel betont die Bedeutung von Liebe und Verantwortung gegenüber anderen Menschen, sowohl innerhalb der Familie als auch in der Gesellschaft.

Der Mensch besteht nicht nur aus einem Körper, sondern hat auch eine Seele und einen Geist, die auf eine Beziehung zu Gott ausgerichtet sind.

Gott hat jeden von uns mit viel Liebe und Kreativität erschaffen. Er will uns als seine Repräsentanten auf dieser Erde einsetzen. Deshalb sind wir als Menschen dazu fähig, mit Gott in eine Beziehung zu treten.

Gott liebt uns und möchte Gemeinschaft mit uns haben. Die ersten Menschen hatten diese Gemeinschaft. Sie konnten sich ungehindert mit Gott treffen (1.Mose 3,8). Gott hat mit Adam und Eva keinen Automatismus in Gang gesetzt. Er gibt zu jedem Menschen sein „Ja“. Jeder Mensch ist ein Gedanke Gottes.

David sagt in Psalm 139,14: „Ich danke dir, dass ich so staunenswert und wunderbar gestaltet bin.“

Gott erwartete uns voller Freude. „Als ich noch gestaltlos war, sahen mich bereits deine Augen.Wir können Gott nicht überraschen. Er weiß, wie es uns geht. Vielmehr möchte Gott, dass wir uns von ihm leiten lassen (Vers 24). Wir sollen über ihn staunen (Vers 14/17) und ihn lieben. Wir sollen ihn auf dieser Erde repräsentieren. Er möchte durch uns gewärtig sein.

Gott liebt uns, weil wir sind und nicht, weil wir etwas getan oder nicht getan haben. Er möchte uns inspirieren und anleiten, damit wir eine neue Welt entdecken. Gott drängt sich niemandem auf. Wer sich auf ihn einlässt, der wird sein Kind (Johannes 1,12). Als Kinder Gottes wollen wir ihm ähnlich werden und von ihm lernen.

Gott fragt nicht nach unseren Leistungen. Die letzte Frage, die Jesus Petrus persönlich stellte, war: Liebst du mich? (Johannes 21,15-17). So steht bereits in 5. Mose 6,5: „Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft.“ Gott sucht uns. Zum ersten Menschen sagte er: „Mensch, wo bist du?“ (1.Mose 3,9). Er wünscht sich, dass wir seine Liebe erwidern. Liebe ist keine Frage des Gefühls, sondern eine Entscheidung für einen Menschen oder für Gott.

Auch Gott will geliebt werden, weil er ist. Seine Liebe kann uns nur erreichen, wenn wir uns ihm zuwenden und mit ihm sprechen. Er ist überall dort, wo man ihn nicht aussperrt, dort, wo wir ihm im Denken, Reden und Handeln Raum geben.

Gott möchte, dass wir uns als Menschen ergänzen und nicht alle gleich werden. Jeder soll mit seiner eigenen Farbe Gott repräsentieren.

Im Himmel dient einer dem anderen. Wir ergänzen uns gegenseitig. Wer auf sich fixiert ist, wird nicht zurechtkommen, denn er wird sich in seiner eigenen Welt verlieren und die Realität aus den Augen verlieren.

Jeder hat seine Farbe. Nur wenn jeder seinen Beitrag gibt, entsteht ein Bild. Wenn wir uns von Gott einsetzen lassen, entsteht ein wunderschönes Bild.

Text Hanspeter Obrist Juni 2025

Bild: Familie von Yael Shalev Cäsarea, Israel

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