Evangelische Kirche spaltet mit politischem Kurs

In Hannover hat der 39. Evangelische Kirchentag begonnen – mit über 1500 Veranstaltungen und einem klar politischen Fokus.

Unter dem Motto MUTIG, STARK, BEHERZT findet vom 30. April bis 4. Mai 2025 der Deutsche Evangelische Kirchentag in Hannover statt. 

Diese Losung steht über dem Kirchentag 2025 in Hannover. Das Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags (DEKT) hat sie aus 1.Korinther 16,13-14 abgeleitet, wo es der Lutherbibel zufolge heißt: „Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark! Alle eure Dinge lasset in der Liebe geschehen!“ Die Verse 16,13-14 dienen in diesem Kontext als knappe Zusammenfassung der Kernbotschaft des Briefes. Daraus eine Losung für eine in sich vielfältige Großveranstaltung wie den Kirchentag abzuleiten, ist also durchaus plausibel. Es ist dann freilich wichtig, den Teilnehmenden zu klären, was sie in aller Vielfalt miteinander verbindet, und sich in dieser Verbundenheit stärken zu lassen. Sie sollen sich selbst neu verstehen im Horizont der Zeitenwende (10,11), die sich mit der Auferweckung Jesu Christi vollzogen hat (15,20-23); und deshalb sollen sie ihr Selbstverständnis und ihre Lebenspraxis an den Kriterien ausrichten, die sich aus der Heiligen Schrift und einer durch sie geprägten Sicht auf die Welt ergeben (3,18-21; 10,1-6 u.ö.).

Die Kirchentagsübersetzung zeigt die Intution des Veranstalters:
13Bleibt hellwach und aufrecht – im Gottvertrauen – seid stark und zeigt, was in euch steckt! 14Euer Tun und Lassen soll in Liebe geschehen.

Gottvertrauen entsteht in der Beziehung zu Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen (1.Korinther 2,2-5; 15,12-14). Wie am Kreuz Christi sichtbar wird, entzieht sich Gottes Weisheit den Maßstäben weltlicher Logik und wirkt Gottes Stärke gerade inmitten menschlicher Schwäche. Im Sinne des Paulus führt Gottvertrauen zu einer kritischen Auseinandersetzung – mit der eigenen Wahrnehmung der Welt ebenso wie mit den Werten, die in der eigenen Gesellschaft gerade populär sind. Dass die Losung des Kirchentags die zentralen Begriffe ihres Referenztextes nicht explizit aufgreift, öffnet die Möglichkeit für eigene Interpretationen. 

Auf dem Programm stehen Themen wie Klimakrise, Genderdiversität, Migration und gesellschaftlicher Zusammenhalt im Zentrum. Mit Veranstaltungen wie „Queer in der Klimakrise“ oder „Weiße nicht willkommen“ will die Kirche marginalisierte Gruppen stärken.

Doch das Programm stößt auf Kritik: Vertreter der Union fordern eine stärkere Orientierung an der gesellschaftlichen Mitte – angesichts der wachsenden Zahl an Kirchenaustritten. Die Kirche verteidigt ihren Kurs als notwendige Antwort auf gesellschaftliche Herausforderungen.

Neben Zehntausenden Gläubigen werden auch zahlreiche prominente Gäste beim Evangelischen Kirchentag erwartet, darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Altkanzlerin Angela Merkel (CDU).

Die geistliche Realität steht nicht im Zentrum. Gerade mal auf einem der neun Hauptpodien soll es dem Titel nach um Glauben gehen.

Bei dem großen Gottesdienst auf der Bühne vor den Neuen Rathaus sagte Landesbischof Ralf Meister: „Kirchentag ist die Energie von vielen, vielen Menschen, die nicht die Hände in den Schoß legen, sondern aufbrechen, um diese Welt gerechter zu machen.“ Mit Begeisterung könne der Zustand der Welt zum Besseren gewendet werden, so das Oberhaupt der Evangelischen Landeskirche Hannover.

„Christlicher Glaube ist politisch“, sagte Kirchentagspräsidentin Anja Siegesmund.

In einem Friedensgottesdienst auf dem Kirchentag in Hannover haben die Vorsitzende des Rates der EKD, Bischöfin Kirsten Fehrs, und der Friedensbeauftragte des Rates der EKD, Landesbischof Friedrich Kramer, mit einer Dialogpredigt ein Beispiel für die Verständigung verschiedener friedensethischer Perspektiven gesetzt. Es wurde deutlich: Kirche kann ein Ort sein, an dem unterschiedliche Sichtweisen nicht nur nebeneinanderstehen, sondern aktiv ins Gespräch gebracht werden. „Wir bleiben im Gespräch – das ist evangelisch!“, betonten beide. Fehrs stellte die Frage nach der persönlichen und politischen Verantwortung. „Man kann für sich selbst Pazifist sein. Aber kann man es auch für andere? Wer Verantwortung trägt, kann nicht ohne Weiteres entscheiden, sich nicht zu wehren und Menschenleben nicht zu schützen.“ Kramer entgegnete: „Ich bleibe bei dem klaren Nein zu Waffen und Hochrüstung.“ Er unterstrich: „Ich weiß, dass Du für den Frieden brennst. Und ich bin auch nicht gegen Landesverteidigung mit Augenmaß – aber es braucht viele kluge Ideen über Waffen hinaus.“

Besprochen wird das Thema Frieden in Hannover nicht nur auf den offiziellen Veranstaltungen des Kirchentages. Eine unabhängige ökumenische Friedenssynode will am 1. Mai einen „Christlichen Friedensruf Hannover 2025“ gegen die „Militarisierung von Politik und Gesellschaft“ verabschieden. Federführend ist die frühere EKD-Ratsvorsitzende und Landesbischöfin von Hannover, Margot Käßmann, die auf dem Kirchentag eine Bibelarbeit halten wird.

Es gibt auch musikalische Abendmahle und Gottesdienste mit Musik von ABBA, Taylor Swift und einer Mischung aus traditioneller jüdischer, christlicher und islamischer Musik. Auch für Sportbegeisterte ist einiges im Angebot. Der Fußball-Gottesdienst und eine Lauf-Andacht, bei der die Teilnehmenden zusammen joggen, sind nur zwei Beispiele. Auf dem „Markt der Möglichkeiten“ stellen gemeinnützige Gruppen ihre Konzepte vor.

Einige Veranstaltungen können nur mit Voranmeldung besucht werden, etwa der Musikgottesdienst „Disco-Hochzeit“ am Freitagabend. Dort bekommen die Paare den Segen auf der Tanzfläche.

Anne Helene Kratzert verantwortet das geistlich-liturgische Programm des Kirchentags. Ob mit rotem Lippenstift, Rollstuhl oder Bart – die Karlsruher Theologin Anne Helene Kratzert wirbt für ein vielfältiges Pfarrerbild. „Meine Idealvorstellung ist, dass wir alles sein können – jung oder alt, verschiedene Hautfarben oder Beeinträchtigungen haben, transgender sein, non-binär, offensiv weiblich oder klassisch männlich einen Vollbart tragen“, sagte Kratzert im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Thema Diversität beschäftige sie als Privatperson. Auch in ihrem neuen Amt als Kirchentagspastorin, das sie Anfang Mai antrat, will sie den Fokus auf Diversität im Christentum lenken.

Am Samstag wird der Film „Einfach Nina“ im Haus der Jugend gezeigt. Ein Junge ist ein Mädchen? Trans als Kind. „Die achtjährige Nina ist selbstbewusst und lebenslustig, bei ihrer Geburt ist allerdings ein Fehler passiert: Sie wurde als Niklas geboren. Für Nina ist klar, dass dieser Irrtum behoben werden muss. Sie fasst sich ein Herz und teilt ihrer Familie mit, dass sie schon immer ein Mädchen war und endlich als solches leben möchte.“ „ein mutiges Transmädchen, das seine Selbstbestimmung gegen alle Widerstände, auch im eigenen Zuhause, durchsetzt.“

„Nichts kann uns trennen“ lautet das Motto des Abschlussgottesdienstes (Es wurden jedoch viele kirchliche Gruppen erst gar nicht zugelassen). Die Predigt hielt Theologin Hanna Reichel aus Princeton (USA). Der 39. Kirchentag stand unter dem Motto „Mutig – stark – beherzt“. So standen drängende gesellschaftliche und politische Fragen im Mittelpunkt, wie Demokratie, Rechtsextremismus und Antisemitismus, Klimakrise, Künstliche Intelligenz oder die Situation in Israel und Gaza. Macht und Missbrauch in kirchlichen Strukturen wurden im Rahmen eines eigenen Thementages diskutiert. 

Der 40. Evangelische Kirchentag wird in zwei Jahren in Düsseldorf stattfinden. Auch den Katholikentag gibt es alle zwei Jahre: Ausgerichtet wird der 104. Deutsche Katholikentag vom 13. Mai bis 17. Mai 2026 in Würzburg. Die Debatten auf dem Katholikentag beruhen auf der Idee der unveräußerlichen Würde jedes Menschen und speisen sich im Besonderen aus der christlichen Hoffnung. Dies soll spürbar werden in den Veranstaltungen und Begegnungen in Würzburg.   Eine Orientierung für die Inhalte liefert das Leitwort „Hab Mut, steh auf!„. 

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