Jesus predigt vom Reich Gottes. Für die Juden stellt sich dabei sofort die Frage, wie Jesus die Gebote der Torah interpretiert. Jesus schafft das Gesetz nicht ab, sondern er weist auf seinen tiefen Sinn hin (Matthäus 5,17–26). Wir sollen das Leben nicht einschränken, sondern fördern.
Jesus erfüllte alle Gesetze und Prophezeiungen über die Versöhnung mit Gott. Alle ethischen Gebote, die den zwischenmenschlichen Umgang regeln, behalten ihre Gültigkeit.
Jesus zeigt uns auf, dass wir alle auf eine Weise getötet haben. Wir alle brauchen Vergebung und Veränderung durch den Heiligen Geist.
Wir sollen einander fördern, zum Leben ermutigen und nicht einschränken oder schaden. Unser Fokus liegt nicht auf Interpretationen, sondern auf der ursprünglichen Absicht.
14:00 Uhr, De Namittag uf Radio Maria Schweiz, Die Bergpredigt – Der Umgang mit dem Gesetz, mit Hanspeter Obrist
Die Sendung wird um 22 Uhr und um 2 Uhr erneut ausgestrahlt.
Audio-PlayerJesus hat darüber gesprochen mit wem und wie er sein Reich bauen will. Was ist der nächste Punkt?
Jesus predigt vom Reich Gottes. Für die Juden stellt sich dabei sofort die Frage, wie Jesus die Gebote der Torah interpretiert. Jesus schafft das Gesetz nicht ab, sondern er weist auf seinen tiefen Sinn hin. Wir sollen das Leben nicht einschränken, sondern fördern.
Zunächst müssen wir verstehen, wie Juden mit den Geboten umgehen.
Elyah Havemann schreibt in seinem Buch „Wie werde ich Jude“: Juden leben „mit Gesetzen, nicht nach Gesetzen“.
Er erläutert dies am Beispiel eines Rasens, auf dem ein Schild mit der Aufschrift „Rasen betreten verboten“ steht. Nach europäischer Leseart versteht man darunter, dass sich niemand auf dem Rasen aufhalten soll. Nach der interpretationsorientierten jüdischen Leseart kann man dies jedoch ganz unterschiedlich verstehen.
Er beschreibt die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten wie folgt (Seite 48): „Betreten ist jedoch etwas, das man mit den Füßen tut. Robben, Krabbeln, auf Händen laufen, Fahrrad fahren, eine Decke darauf legen, Sitzen und Liegen fallen also nicht unter dieses Verbot. Rasen sind Grashalme ab einer gewissen Dichte und Reinheit, … (gewisse) Stellen … sind aus dem Verbot ausgeschlossen und dürfen betreten werden. … Betreten kommt von „treten“, dafür braucht man Treter, also Schuhe. Darum ist der Rasen ohne Schuhe begehbar.“
Diese Art der Argumentation finden wir in Matthäus 15,5-6. Da heißt es: „Ihr aber meint: Wer zu Vater oder Mutter sagt: Was ich dir schulde, sei eine Opfergabe!, 6 der braucht seinen Vater oder seine Mutter nicht mehr zu ehren. Damit habt ihr Gottes Wort um eurer Überlieferung willen außer Kraft gesetzt.“
Jesus kritisiert, dass die Schriftgelehrten behaupten, man könne das Geld, das eigentlich für die Eltern bestimmt ist, dem Tempel spenden und müsse seine Eltern dann nicht mehr unterstützen.
Als der Tempel zerstört wurde und das jüdische Volk ins babylonische Exil kam, verlangte die Abwesenheit des Tempels nach neuen Formen der Glaubensausübung. So entstanden rabbinische Schulen, die die Torah (die fünf Bücher Mose) neu auslegten. Zur Zeit von Jesu waren fünf Auslegungsarten bekannt: Die Pharisäer, die Sadduzäer, die Essener, die Zeloten und die Samaritaner.
Die Pharisäer erwarteten Gottes Eingreifen, sobald sie gottgefällig lebten. Die Sadduzäer waren liberal und rechneten nicht mit einer geistlichen Welt oder einem Leben nach dem Tod. Die Essener sonderten sich ab und sahen sich selbst als Gottes Tempel an. Die Zeloten glaubten an die Umsetzung von Gottes Reich durch eigenes Handeln und Waffengewalt. Die Samaritaner beschränkten sich auf die fünf Bücher von Mose und warteten auf den verheißenen Propheten wie Mose, wie er in 5.Mose 18,18-19 vorausgesagt wurde.
Nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 und als Reaktion auf die Christen entstand der Talmud. Heute gibt es verschiedene Auslegungsarten. Plötzlich fokussiert man sich nicht mehr auf die Schrift selbst, sondern darauf was der eine oder andere gesagt hat.
Bei uns Christen ist es ähnlich. Wir diskutieren darüber, was verschiedene Personen gesagt haben, beschäftigen uns aber immer weniger mit der Heiligen Schrift selbst.
Wohin das führt, sehen wir im Talmud. Nach dem Babylonischen Talmud steht die rabbinische Autorität über der Torah. So heißt es im Talmud: „Die Torah ist bereits vom Berge Sinaj her verliehen worden. Wir achten nicht auf die Hallstimme (Himmelsstimme), denn bereits hast du am Berge Sinaj in die Torah geschrieben: Nach der Mehrheit zu entscheiden“ (Babylonischer Talmud Band 7 S. 637).
Nach jüdischem Verständnis ordnet sich Gott der Entscheidung des jüdischen Rates unter. In diesem Sinne könnte man den Text in 5. Mose 17,8-12 interpretieren. Dort geht es allerdings um Angelegenheiten, die im Gesetz nicht geregelt sind. Eine andere Möglichkeit der Interpretation ist, dass man die Regel, dass der Hohe Rat den Jahresanfang nach der Weizenernte bestimmt, so ausgelegt, dass Gott sich an die Entscheidung der Menschen hält.
Juden haben also damit begonnen, immer mehr die Heiligen Schriften zu interpretieren, anstatt nach dem ursprünglichen Sinn zu fragen.
Somit stellt sich also die Frage: Wie interpretiert Jesus die Torah und die Propheten?
In Matthäus 5,17-20 sagt Jesus:
„Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben! Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. 18 Amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota und kein Häkchen des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist. 19 Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich. 20 Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“
Was die Schrift voraussagt, muss sich erfüllen. Jesus legt das Gesetz nach seinem ursprünglichen Sinn aus.
Jesus erfüllt das Gesetz auf eine Weise, die auch seine Jünger zunächst nicht verstehen. Nach seinem Tod und seiner Auferstehung erklärte er den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus, dass der Messias gemäß der Schrift den Tod erleiden musste. Er begann mit der Torah (den fünf Büchern Mose) und allen Propheten und erklärte ihnen, was in den Schriften über ihn gesagt wurde (Lukas 24,26-27).
Jesus erfüllte alle Gesetze und Prophezeiungen über die Versöhnung mit Gott. Johannes der Täufer sagte in Johannes 1,29: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ Später ließ er jedoch Jesus fragen (Matthäus 11,3): „Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“
In der Bibel ist nicht alles offensichtlich. Es braucht einen vertieften Einblick. Jesus sagt in Johannes 16,13-14: „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird. 14 Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden.“
Der Heilige Geist öffnet uns also den tieferen Sinn der Heiligen Schrift. Deshalb laden wir ihn ein, uns sein Wort zu öffnen, und wir lesen in der Bibel, um dem Heiligen Geist die Möglichkeit zu geben, durch die Heiligen Schriften zu uns zu sprechen.
Wir haben eine neue Perspektive auf das Gesetz. Es ist nicht Vorbedingung für eine Beziehung zu Gott, sondern ein Spiegel und eine Leitlinie. Gott reicht uns in Jesus die Hand. Wenn wir sie ergreifen, nimmt er alles weg, was unsere Beziehung zu ihm hindert. Er schenkt uns ewiges Leben und befreit uns, zu einem neuen Leben mit Gott.
Alle ethischen Gebote, die den zwischenmenschlichen Umgang regeln, behalten ihren Sinn.
Jesus macht das an einem Beispiel deutlich (Matthäus 5,21-26): „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemanden tötet, soll dem Gericht verfallen sein. 22 Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein.
Auch mit Worten kann man töten, indem man den anderen unterdrückt und einschränkt. Wer offen erklärt, seinem Bruder zu zürnen, oder ihn mit dem jüdischen Bann „Raka“ (Dummkopf) oder „Narr“ (Verrückter, Gottloser) belegt, der zerstört Leben.
Wenn ein Lehrer zur Zeit Jesu zornig auf einen Jünger wurde, belegte er ihn mit dem Bann Nasaf. Sieben Tage lang musste der Schüler zu Hause bleiben und durfte andere Menschen nicht mit „Schalom“ begrüßen. Jesus sagte: Wer das grundlos tat, soll sich vor dem Gericht verantworten.
Der Bann „Raka“ dauerte dreißig Tage. Das war dann ein Fall für den Sanhedrin (Hohen Rat).
Wer jemanden als gottlos bezeichnet, ihn aus der Gemeinschaft der Glaubenden ausgrenzt und ihm die Möglichkeit zur Umkehr nimmt, wird nach Jesus selbst zu den Gottlosen gerechnet.
Man kann also auch töten durch Hetzen, Rufmord, Schweigen, Ausweichen.
Dann sagt Jesus: 23 Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, 24 so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe!
Auch Unversöhnlichkeit kann Leben zerstören.
25 Schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, solange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist! Sonst wird dich dein Gegner vor den Richter bringen und der Richter wird dich dem Gerichtsdiener übergeben und du wirst ins Gefängnis geworfen. 26 Amen, ich sage dir: Du kommst von dort nicht heraus, bis du den letzten Pfennig bezahlt hast.
Man zerstört auch ein Leben, wenn man Schuld ignoriert und der andere nur über das Gericht zu seinem Recht kommt.
Man kann auch töten, indem man dem anderen sein Recht verweigert oder indem man sich nicht versöhnen will.
Jakobus sagt sogar (4,17): „Wer also das Gute tun kann und es nicht tut, der sündigt.“
Das Gegenteil von Töten ist also nicht, den anderen nur leben zu lassen, sondern ihn zu fördern.
Deshalb lehrt uns Jesus nach Matthäus 6,12 beten: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldnern. Oder wie es in der Einheitsübersetzung heißt: „Erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben!“
Jesus zeigt uns auf, dass wir alle auf irgendeine Weise getötet haben. Wir alle brauchen Vergebung und Veränderung durch den Heiligen Geist.
In Vers 20 sagt Jesus die provokanten Worte: „Wenn nicht eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer weit übertrifft, so werdet ihr keinesfalls in das Reich der Himmel hineinkommen.“ Was meint er damit?
Die Schriftgelehrten und Pharisäer waren der Meinung, dass sie keine Erlösung bräuchten, da sie nach den Gesetzen lebten.
Jesus zeigt auf, dass unsere Gerechtigkeit nicht durch das Wissen um die Gesetze entsteht, sondern wenn wir uns nach der Hilfe Gottes sehnen und sie annehmen.
Unsere Gerechtigkeit entsteht, wenn wir unsere Erlösungsbedürftigkeit erkennen, die Vergebung in Jesus annehmen und uns durch den Heiligen Geist verändern lassen.
Jesus schafft das Gesetz nicht ab, sondern er weist auf seinen tiefen Sinn hin. Nicht ein Jota, nicht der kleinste hebräische Buchstabe, fällt weg. Es geht jedoch um den ursprünglichen Sinn der Gebote. Dieser wird uns in Hesekiel 20,11 beschrieben. Dort heißt es: „Ich gab ihnen meine Satzungen und meine Rechtsentscheide tat ich ihnen kund, die der Mensch befolgen muss, damit er durch sie am Leben bleibt.“
Es geht also darum, dass es uns gut geht. Die Gebote Gottes schränken uns nicht ein, sondern setzen unser Leben frei.
Das Gebot „Du sollst nicht töten“ wird erstmals bei Noach erwähnt. In 1.Mose 9,1 heißt es: „Dann segnete Gott Noach und seine Söhne und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, mehrt euch und füllt die Erde! … 6 Wer Blut eines Menschen vergießt, um dieses Menschen willen wird auch sein Blut vergossen. Denn als Bild Gottes hat er den Menschen gemacht.“
Doch Noach und seine Kinder gerieten wieder in das negative Fahrwasser. Ham, einer von Noahs Söhnen, stellte seinen betrunkenen Vater bloß, anstatt seine Blöße zu bedecken. Damit hat er die Würde seines Vaters verletzt und sich des Gebots, Menschen als Ebenbild Gottes nicht zu schaden (1.Mose 9,6), schuldig gemacht.
Das Gebot war „das Blut eines Menschen nicht zu vergießen“. Der tiefere Sinn ist: Gottes Ebenbild nicht zu entwürdigen und einem Menschen zu schaden.
Die Folge war, dass ein Fluch auf die Nachkommen von Ham kamen kam. Negative Verhaltensmuster werden oft über Generationen weitergegeben, wenn sie nicht bewusst durchbrochen werden.
Ein neues Umfeld verändert den Menschen nicht wirklich. Der Mensch muss sein Herz ändern. Anstatt sich von Gott abzuwenden, muss er sich freiwillig Gott zuwenden – also umkehren.
Im Katechismus steht: „Wir können nicht mit Gott vereint werden, wenn wir uns nicht freiwillig dazu entscheiden, ihn zu lieben.“ (§1033)
Entscheidend ist die Liebe zu Gott und nicht, selbstgerecht vor ihm zu stehen, wie die Pharisäer. Das würde sonst bedeuten: „Gott ich brauche dich nicht. Ich finde selbst einen Weg, um mit den Geboten umzugehen.“
Mit der Bergpredigt zeigt Jesus, mit wem er das Reich Gottes bauen will: mit Menschen, die sich nach Gott sehnen. Dann zeigt er auf, wie es geschehen soll: Indem er durch Menschen andere anspricht. Nun zeigt Jesus den ursprünglichen Sinn der Gebote auf. Wir sollen einander fördern, zum Leben ermutigen und einander nicht einschränken oder schaden. Unser Fokus liegt nicht auf Interpretationen, sondern auf der ursprünglichen Absicht.
Heute hört man oft, alles sei nur eine Sache der Interpretation. Wir studieren, was andere gesagt und geschrieben haben. Was aber wichtig ist und wir selten zu hören bekommen, ist die ursprüngliche Bedeutung der Heiligen Schrift. Wenn wir Jesus und den Heiligen Geist dazu einladen, führen sie uns immer tiefer in die Schrift hinein.
Was ist das Thema der nächsten Sendung?
Am Mittwoch, dem 9. Juli 2025, geht es um das Thema „Die Bergpredigt – Der Umgang mit den Gedanken”.
Jesus zeigt in der Bergpredigt auf, dass nicht nur die Tat, sondern auch der Wunschgedanke eine Zielverfehlung (Sünde) ist. Nachdem Jesus am Beispiel des Tötens erklärt hat, wie er mit dem Gesetz umgeht, führt er seine Zuhörer auf eine andere Ebene. Wir werden durch unsere Gedanken bestimmt.
Wir begehren das, womit wir unsere Gedanken nähren. Unsere Gedanken sind also der Auslöser unserer Taten.
Mehr dazu am Mittwoch, dem 9. Juli 2025, um 14 Uhr oder in der Wiederholung um 22 Uhr bzw. um 2 Uhr.