Israels Angriff auf die Bombe

Wird Tel Aviv die Atomanlagen des Iran angreifen? Bereits 1981 hat die israelische Führung ein Kernkraftwerk im Irak bombardiert

Jordanien stöhnt unter der Sommerhitze am Nachmittag des 7. Juni 1981. Es ist Sonntag und König Hussein lässt sich zur Mittagsruhe auf seiner Yacht im Golf von Akaba von einer Brise kühlen. Um 15.56 ist es vorbei mit der Entspannung. Ein Kampfjet jagt unmittelbar über sein Boot hinweg, dreht nach Nordost ab. Noch einer, und noch einer, ein Stakkato von sechs F-15- und acht F-16-Maschinen, 28 Triebwerke insgesamt, jedes mit zehn Tonnen Schubkraft und Nachbrennern – keine 50 Meter über dem Haupt seiner Hoheit. Ein schlechter Traum?

Nein, die gewaltigen Maschinen, die beim Herannahen die Sonne verdunkeln und beim Verschwinden das Deck der Yacht erzittern lassen, erlauben keinen Zweifel am Geschehen. Was Hussein nicht sieht: Kaum sind sie hinter der saudi-arabischen Küste verschwunden, steigen die Piloten über der Wüste nicht etwa auf normale Flughöhe, sondern gehen noch einmal tiefer. Auf 30 Meter die F-16, und nur zehn Meter höher die F-15, um ihre Kameraden unter ihren Fittichen zu schützen, denn sie tragen die entscheidende Fracht. Ihr geheimes Ziel: Die Baustelle eines Atomkraftwerks nahe der irakischen Hauptstadt Bagdad. Sie fliegen entlang der Grenze von Saudi-Arabien zu Jordanien. Und sie fliegen an der Grenze des Möglichen.

Im Unterschallbetrieb sind die Maschinen, die es bis auf 2500 Stundenkilometer bringen, kaum lenkbar, erst recht im Tiefflug. Der Bordcomputer übernimmt das Steuer. So dicht über dem Boden geht es nur langsam voran, 800, maximal 900 km/h. Höher aufsteigen für einen schnelleren Flug dürfen sie nicht. Sie müssen sich ducken, zusehen, dass kein Radarstrahl sie trifft. Ein nahe kreisendes Awacs-Überwachungsflugzeug der US-Air-Force erfasst sie nicht.

König Hussein, an dem Tag zufällig auf seiner Yacht, ist hellwach. Und erregt. Nicht, weil man ihm die Mittagsruhe nahm, sondern weil er ahnt, wohin die Reise der Kampfjets gehen könnte. Er weiß, woher sie kommen. Unmittelbar am Golf von Akaba, auf der Sinaihalbinsel, die damals seit dem Sechstage-Krieg von den Israelis besetzt ist, unterhält deren Luftwaffe einen Stützpunkt: Etzion Airbase. Dort sind die Maschinen aufgestiegen. Und der König sieht: Die israelischen Jets dringen gerade in Lufträume von Ländern vor, in denen sie doch nichts zu suchen haben. Was führen sie im Schilde? Um sein Jordanien, obwohl einst Kriegsgegner der Israelis, ängstigt er sich nicht, beide Staaten befinden sich im Benehmen. Auch Saudi-Arabien, Verbündeter der USA, dürften sie nicht angreifen. Doch Hussein weiß, dass man in Tel Aviv den Irak verdächtigt, Atomwaffen zu planen und nur deshalb den Neubau eines Kernkraftwerkes zu betreiben. Und dass Israel deshalb dem irakischen Herrscher Saddam Hussein droht. Erst im vergangenen September hatten Flugzeuge des Iran – seit 1980 Gegner des Irak im Golfkrieg – das Kraftwerk angegriffen, allerdings erfolglos. Der König greift zum Funktelefon seiner Yacht. Über seine Hauptstadt Amman will er Bagdad warnen, für alle Fälle.

Die israelischen Jets ziehen weiter, Kurs Nordost. König Hussein ist der letzte, der sie für die nächsten eineinhalb Stunden hört oder sieht. Jedenfalls der letzte, der sich Gedanken über ihren merkwürdigen Kurs über die Wüste macht. Gesteuert wird nach wie vor per Computer. Nur einmal müssen die Piloten Hand anlegen, bei einem heiklen Manöver: Es geht darum, die Zusatztanks unter den Flügeln auszuklinken, die die weite Flugstrecke erfordert und die inzwischen geleert sind. Sie hängen unmittelbar neben der explosiven Bombenlast, weshalb sie eigentlich erst nach einem Angriff abgeworfen werden sollten, um tödliche Kollisionen zu vermeiden. Doch an diesem Tag muss das Letzte herausgeholt werden, um die Reichweite zu optimieren, jedes Kilo zählt. Nichts läuft heute normal, nichts ohne Risiko. Die Piloten werfen die Tanks ab, die Bomben bleiben unbeschädigt, weiter Richtung Bagdad.

Der 7. Juni 1981 ist der Höhepunkt eines geheimen Kommandos, das der israelische Ministerpräsident Menachem Begin seit Jahren mit sich herumträgt, in das er zunächst nicht mal ein Dutzend Menschen einweihte, und von der auch bis zuletzt keine 100 wissen. Dafür, dass die israelische Regierung nicht davor zurückschreckt, ihre Interessen auch durch Blitzaktionen in fremdem Hoheitsgebiet zu verteidigen, gibt es viele Beispiele: Die Entführung des SS-Mannes Adolf Eichmann aus Argentinien, die Befreiung eines entführten El-Al-Flugzeugs im ugandischen Entebbe, der Abtransport einer kompletten neuartigen Radarstation aus Ägypten, die Kaperung einer ganzen Flotte von fünf Schnellbooten aus dem französischen Cherbourg, deren Export nach Israel die Regierung in Paris stoppen wollte. Im Juni 1981 nun der Angriff auf das Atomkraftwerk im nuklearen Forschungszentrum Al Tuwaitha nahe Iraks Hauptstadt Bagdad – eine Aktion, die heute Anlass gibt, genauer hinzuhören bei den Nachrichten von Gedankenspielen in Tel Aviv über einen Schlag gegen das iranische Atomprogramm.

Kurz nachdem Menachem Begin 1977 Israels Regierungschef geworden war, machte er in seinem Kabinett klar, dass er es nicht tatenlos hinzunehmen gedenke, wenn sich ein weiterer Staat in der Region – Israel selbst ist seit den 60er-Jahren Nuklearmacht – Atomwaffen zulegt. Schon gar nicht, wenn es um einen geht, dessen Führer Israel ausradieren will wie Saddam. Ein besonderer Dorn im Auge war Begin dabei die Baustelle von Al Tuwaitha am Euphrat, wo französische Firmen seit 1976 einen 40-Megawatt-Leichtwasserreaktor ihres heimatlichen Typs „Osiris“ errichteten – weshalb sich für das Projekt auch der Name „Osirak“ durchsetzte. Begin bemühte sich in Paris um einen Baustopp, ohne Erfolg. Dies auch vor dem Hintergrund, dass selbst in den westlichen Regierungen kaum jemand Saddam unterstellte, mit dem Atomkraftwerk die irakische Bombe vorzubereiten, obwohl durchaus Verdachtsmomente vorlagen. Im Mai 1981 wählte Frankreich François Mitterand zum Präsidenten. Bei ihm fand Begin Gehör, doch ihm fehlte die Macht, gegen den Kraftwerks-Export vorzugehen. Sowieso hatte Begins „Operation Babylon“ (der Geheimcode der Aktion gegen Osirak) inzwischen eine nicht mehr zu stoppende Eigendynamik erlangt.

Jetzt muss sich Begin im Herbst 1981 zur Wahl stellen. Manch einer unterstellt ihm später, dass er sich durch einen Schlag gegen den Israelfeind Saddam Hussein Stimmen erhoffte. Andere meinen, dass er deshalb noch vor der Wahl zuschlagen wollte, weil er seinem möglichen Nachfolger Schimon Peres dies nicht mehr zugetraut hätte – zumal noch im Juni, wie Begin von seinem Geheimdienst Mossad hörte, Osirak mit Spaltmaterial beschickt werden sollte. Danach wäre ein Luftschlag mit unermesslichen Risiken für die ganze Region verbunden gewesen. Die Modernisierung ihrer Luftwaffe hatte die Regierung Begin den halben Verteidigungsetat gekostet, auch angesichts dessen stünde ihr nun ein spektakulärer Coup gut zu Gesicht. Seit neun Monaten, seit dem erfolglosen iranischen Angriff auf Osirak, steht in Israels Negev-Wüste in Originalgröße dessen Modell, an dem die Piloten der Kampfjets intensiv den Angriff probten. Die letzten Flugmanöver am Zielort würden eine dramatische Herausforderung sein, an der die Piloten der iranischen Mullahs gescheitert waren.

König Hussein hatte mit seinem Versuch, Bagdad anzurufen, keinen Erfolg. Saddam und seine Luftabwehr bleiben ahnungslos. Jetzt, kurz bevor die Piloten ihr Ziel erreichen, informiert Begin, der auch Verteidigungsminister ist, in Tel Aviv sein Kabinett darüber, dass die Aktion im Gang ist. 1000 Kilometer weiter nordöstlich, gleich neben der Baustelle des Reaktors, geht derweil die Besatzung einer Flugabwehrstellung, die in Erwartung eines Angriffs dort errichtet wurde, in ihre spätnachmittägliche Pause. Keine besonderen Vorkommnisse sind gemeldet, die Radarbildschirme bleiben für eine halbe Stunde unbeachtet, wohl auch ausgeschaltet. Wobei die Frage ist, ob sie die heranjagenden Maschinen überhaupt hätten orten können.

Knapp eineinhalb Stunden, nachdem sie die Mittagsruhe des jordanischen Königs jäh beendet hatten, erreichen die 14 Maschinen ihr Ziel. Erst in den letzten Sekunden tauchen sie aus ihrem geduckten Flug auf, setzen sich den Suchstrahlen aus. Sie müssen nun auf 2000 Meter aufsteigen, um überhaupt mit den gewaltigen Mark-84-Bomben operieren zu können. Deren Explosionskraft würde sie sonst selbst zerreißen. Allerdings können sie die Mark 84 – es handelt sich nicht um Lenkwaffen – nur bei einer stark nach unten neigenden Flugzeugnase ausklinken, um das nahe Ziel sicher zu treffen. Deshalb müssen die Piloten, sobald sie die nötige Höhe erreicht haben, sofort wieder auf Tauchkurs gehen, unmittelbar darauf die Bomben auslösen und anschließend erneut Höhe gewinnen, um der Druckwelle auszuweichen.

Als Erstes steigen die – nicht mit Bomben ausgestatteten – F-15-Jäger auf, um die Flugabwehr zu sondieren. Sie können keine Gefahr ausmachen. Anschließend geht jede der F-16 auf ihren halsbrecherischen Zickzack-Kurs und wirft ihre zwei Bomben ab. Die ersten brechen die Reaktorhülle auf, die folgenden dringen ungehindert ins Innere. Die Kameras in den Jets nehmen die Aktion auf und registrieren bei 16 Abwürfen 15 Volltreffer. Zwei Minuten dauert das Ganze vor Ort, anschließend gehen die Maschinen, deren Existenz nun bekannt ist, auf große Höhe, um in einer halben Stunde zurückzujagen. Die zaghafte Flugabwehr, die zu spät einsetzt, schießt ins Leere. Wenig später meldet Begin seinem Kabinett den Erfolg. Innenminister Joseph Burg sagt: „Zur Zeit des Angriffs hat Gott sicher Überstunden gemacht.“ Die Beschickung der Atomanlage mit Spaltmaterial würde nicht mehr stattfinden, so viel ist klar.

Die Aktion startete an einem Sonntag, um keine französischen Experten zu gefährden. Der Angriff kostete zehn irakische Soldaten das Leben und einen französischen Atomexperten, Damien Chaussepied. Um ihn rankte sich alsbald das Gerücht, er sei ein Mossad-Agent gewesen, der für die israelischen Kampfpiloten einen Zielsender im Osirak angebracht habe. Bestätigt wurde es nie. Auch wäre dann die Frage, warum er die Anlage nicht rechtzeitig verlassen hatte.

Nach dem Angriff war die israelische Regierung starkem internationalem Druck ausgesetzt – aus Ost wie West. Bonn protestierte wie die meisten seiner Verbündeten scharf. Sogar die USA stimmten im UN-Sicherheitsrat einer Resolution zu, die die Aktion verurteilte. Der Westen setzte damals im ersten Golfkrieg auf den Irak in dessen Kampf gegen das Mullah-Regime in Teheran. Die jüngst ans Licht gekommenen „Saddam Tapes“ bewiesen allerdings, dass Iraks Diktator im Jahr 1981 tatsächlich in Osirak die Bombe für den Erstschlag gegen Israel entwickeln lassen wollte.

Die Namen der eingesetzten Piloten blieben geheim. Mit einer Ausnahme. Als der israelische Astronaut Ilan Ramon 2003 beim Unglück der Raumfähre „Columbia“ starb, gab Israel bekannt, dass er damals eine F-16 gesteuert habe.

Autor: Ulli Kulke      Zum Original

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