Ein syrischen Befreiungskampf oder ein Glaubenskrieg fundamentalistischer Jihadisten

Der Krieg in Syrien ist immer noch ein Krieg ohne Kriegsfronten. Die schweren Waffen der Armee bewirken, dass die Aufständischen, wenn sie sich irgendwo festzusetzen versuchen, Zielscheiben der Artillerie, Helikopter und Bombenflugzeuge der Armee werden. Diese zertrümmern alle Häuser und Ortschaften, sogar Stadtquartiere, in denen die Rebellen kurzfristig die Macht übernehmen. Dadurch vertreiben sie die zivile Bevölkerung und zwingen dann auch die Kämpfer das Feld zu räumen.

Doch die Rebellen weichen elastisch aus. Die Konfrontation hat sich über so weite Gebiete des Landes ausgebreitet, dass die Regierungstruppen nicht überall gleichzeitig ihre schweren Waffen einsetzen können. Erst als die Widerstandskämpfer über die Außenquartiere und aus den umliegenden Dörfern in die Stadtzentren von Damaskus und von Aleppo eindrangen, ging die Regierungsarmee zum Einsatz von Helikoptern und Kampflugzeugen über. Die Wohnquartiere wurden geleert und als letzte verschwanden aus ihnen auch die Widerstandskämpfer. Bisher hat die Armee weder Damaskus noch Aleppo ganz unter Kontrolle gebracht.

Die Regierungskräfte suchten ihren relativen Mangel an Mannschaften zu kompensieren, indem sie die Schabiha-Milizen ausbauten und vermehrt einsetzten. Sie werden dazu verwendet, um die Zivilbevölkerung jener Regionen und Ortschaften zu bestrafen, die sich der Oppositionsbewegung zugewendet hatten. Oftmals durch Plünderung ihrer verlassenen Wohnungen aber auch durch Ermordung und gelegentliche Massaker von vermuteten Widersachern und deren Angehörigen. Doch sie erwiesen sich als ein zweischneidiges Instrument, weil sie mit der Furcht auch den Hass und die Rachebedürfnisse gegen das Regime weiter anfachten.

Den Kämpfern der Opposition ist es gelungen, den Flächenbrand in Syrien über fast alle Gebiete des Landes zu entfachen – mit Ausnahme der innersten Stadtkerne der beiden großen Städte und der Landstriche, die hauptsächlich von Alawiten und von Drusen bewohnt werden.

Die Drusen im Südosten des Landes, „Jebel Druse“, suchen sich neutral und damit eher regierungsfreundlich zu verhalten, zu großen Teilen auch die syrischen Christen in den Innenstädten und in ihren eigenen Bergdörfern.

Die Alawiten fürchten, sie würden alle für die Untaten der Regierung verantwortlich gemacht und deshalb verfolgt werden, wenn die vorwiegend sunnitischen Widerstandskräfte siegen. Sie halten deshalb unverrückbar zum Regime. Ihr Gebiet ist die syrische Mittelmeerküste mit ihren Hafenstädten und den dahinter liegenden Drusenbergen mit Ausläufern auf die sich östlich anschließenden Ebenen des Inneren, besonders in ihren nördlichen Teilen.

In allen übrigen Landesteilen tummeln sich gegen 2‘000 verschiedene Gruppen und Grüppchen von Bewaffneten des Widerstandes. Die meisten stehen unter ihren eigenen Führern, die sehr darauf achten, ihre Führungsposition zu bewahren. Sie sind aus diesem Grunde bereit, mit benachbarten Gruppen für Einzelaktionen zusammenzuarbeiten, lassen sich jedoch nur schwer davon überzeugen, dass es im Interesse des Widerstandes läge, die Ihrige mit anderen Gruppen zu verschmelzen.

Ein jeder der beiden Gegner ist nach wie vor fest davon überzeugt, dass er schließlich siegen werde. Beide Seiten sind fest davon überzeugt, dass die Zeit für sie arbeite. Das große gegenseitige Misstrauen kommt dazu. Keine der beiden Seiten traut der anderen zu, dass sie sich an irgendwelche Abmachungen oder gar Zugeständnisse halten werde. Sogar ein Waffenstillstand ist kaum zu erreichen, weil es keine wirklichen Fronten gibt, an denen die Waffen ruhen könnten.

Bisher haben die Repressionsaktionen immer wieder das Gegenteil bewirkt. Sie haben mehr Personen und Gruppen gegen das Regime mobilisiert. Es ist denkbar, dass einmal der Zeitpunkt einträte, an dem die Bevölkerung aufhören könnte, die Rebellen zu unterstützen und diese selbst dann den Mut verlören. Wahrscheinlich ist das Durchhaltevermögen der Bevölkerung dabei die entscheidende Größe.

Die Quellen aus dem Ausland jedoch fließen immer ergiebiger. Offenbar ist der internationale Waffenmarkt, beflügelt durch viel Geld aus dem Golf, die wichtigste Quelle, die Türkei das Hauptgebiet, auf dem die Ausbildung und Ausrüstung der Kampfgruppen vor sich geht. Die Geheimdienste der westlichen Staaten wirken mit. Auch ausländische Kämpfer kommen nach Syrien. Wie groß ihre Zahl ist, weiß niemand mit Gewissheit.

Wenn die Regierungsseite von den vom Ausland geförderten Banden spricht, ist ihre Darstellung zwar einseitig und tendenziös. Doch sie entspricht zunehmend auch einem Teil der Wahrheit. Diese Banden, die sich selbst als Glaubenskämpfer einstufen, gibt es in der Tat, und wahrscheinlich mehr und mehr. Die Zivilbevölkerung in den infiltrierten Wohnquartieren bekommt es zu spüren. Sie muss sich fragen, wieweit handelt es sich noch um einen syrischen Befreiungskampf mit dem Ziel einer syrischen Demokratie, wie sie die gewaltlosen Demonstranten der Anfangsmonate anstrebten oder wieweit schon um einen Glaubenskrieg fundamentalistischer Jihadisten?

Der Krieg wird immer brutaler, das Blutvergießen nimmt immer größeres Ausmaß an, immer schwerere Waffen werden eingesetzt. Auch der Widerstand wird brutaler, vor allem gegenüber den wachsenden Reihen der sich bitter verhasst machenden Schabiha-Milizen. Im Widerstand machen sich zunehmend fundamentalistisch-islamistische Kampfgruppen breit, die von außen gefördert werden und die Kriegswirren ohnehin begünstigen.

Was ungewiss bleibt und in den kommenden Monaten oder Jahren kriegsentscheidend werden könnte, ist die Frage, inwieweit das syrische Volk in seiner Mehrheit Richtung Jihad mitgeht oder eher die Herrschaft des Asad-Klans erträgt als die Aussicht auf eine Befreiung durch islamistische Fundamentalisten.

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