Verfolgung orthodoxer Christen in der Ukraine?

In seiner langen TV-Ansprache führte Putin als Argument für den Schritt Richtung Westen unter anderem eine angebliche Verfolgung von orthodoxen Christen des Moskauer Patriarchats in der Ukraine an. „In Kiew bereiten sie weiter Gewaltakte gegen die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats vor“, so Putin.

Man muss beachten, dass es diese Übergriffe überhaupt nicht in der Ostukraine gab und besonders nicht in den besetzten Gebieten, wo die Ukraine keinen Einfluss hat. Also weder in den besetzten Gebieten der sogenannten Volksrepubliken, denn dort ist nur die „Ukrainische Orthodoxe Kirche“ des Moskauer Patriarchats überhaupt erlaubt. Alle anderen Gläubigen haben dort schon mit sehr starker Unterdrückung und Repressionen zu leben, aber nicht von der ukrainischen Regierung, sondern von den Separatisten. Gerade die Christen der orthodoxen Kirche, die zum Moskauer Patriarchat gehören, haben dort eigentlich keine Gewalt zu befürchten. Das ist Teil der Propaganda, mit der Putin jetzt quasi göttlich legitimiert, dass er dort die Grenze überschreitet. Die russisch-orthodoxe Kirche untermauert diese Argumentation ganz stark mit ihrer Sichtweise darauf, dass die „Russische Orthodoxe Kirche“ quasi der Schutz verfolgter Christen in der ganzen Welt ist.

Man sieht durch seine gesamte Geschichtskonstruktion, dass der Ukraine genauso wie der ukrainischen Orthodoxie eigentlich die Selbstständigkeit abgesprochen wird und man immer davon ausgeht, dass man gemeinsame historische Wurzeln hat, dass die Ukraine immer quasi ein Anhängsel Russlands und des russischen Imperiums und der großen russischen Erzählung war. mehr Informationen

Rund 60 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) „Orthodoxen Kirche der Ukraine“.

Diese entstand Ende 2018 aus dem 1992 gegründeten Kiewer Patriarchat und der 1921 ins Leben gerufenen „Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche“. In dem Land war angesichts des Krieges in der Ostukraine zwischen von Moskau unterstützten Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen der Ruf nach einer von Russland unabhängigen orthodoxen Kirche lauter geworden.

Das Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel, hatte erfolglos versucht, mit einem sogenannten Vereinigungskonzil im Dezember 2018 den Zusammenschluss aller drei Kirchen zu erreichen. Die neue orthodoxe Kirche der Ukraine erkannte er Anfang Januar 2019 als „autokephal“ (unabhängig) an und stellte sie so allen 14 bestehenden orthodoxen Landeskirchen gleich.

Die russisch-orthodoxe Kirche betrachtet die Ukraine als ihr Stammland und lehnt die kirchliche Unabhängigkeit für das südliche Nachbarland strikt ab. Auch die meisten anderen orthodoxen Landeskirchen erkannten die neue eigenständige ukrainische Kirche anders als Bartholomaios I. bislang nicht offiziell an.

Die moskautreue Kirche verfügt in der Ukraine über deutlich mehr Gemeinden als die neue Kirche. Sie räumte aber den Verlust von rund 100 Pfarreien an die orthodoxe Kirche der Ukraine ein. Für einen Wechsel einer Kirchengemeinde ist laut ukrainischem Recht jeweils die Zustimmung von zwei Dritteln ihrer Gläubigen nötig. mehr Informationen

Weitere Gemeinden könnten diesem Schritt noch folgen. Das berichtet das Portal „The Kyiv Independent“.

Das Moskauer Patriarchat hat die Ukraine endgültig verloren. Am Freitag 27.5.22 erklärte der Rat der bisherigen „Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchates“ (UOK-MP) die „volle Unabhängigkeit und Autonomie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche“. Die offizielle Begründung dafür hat sich seit Beginn des Kriegs Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar angedeutet: „Wir stimmen nicht mit der Position von Patriarch Kyrill von Moskau und ganz Russland zum Krieg in der Ukraine überein.“ Neuerlich verurteilte das am Freitag zusammengetretene Landeskonzil den Krieg als eine Übertretung der Gebote Gottes. Die UOK-MP war seit Beginn des Krieges unter gewaltigem Druck: Während ihr Oberhaupt, der Moskauer Patriarch Kyrill, den Krieg rechtfertigte und für die russische Invasionsarmee betete, verurteilten ihre Bischöfe in der Ukraine diesen Krieg und beteten für die Verteidiger des Vaterlands. Mehr als 400 Kirchengemeinden und mindestens 120 Geistliche der UOK-MP verließen seit 24. Februar diese Kirche und schlossen sich der konkurrierenden OKU an. Für die russische Orthodoxie ist die nun beschlossene Loslösung der Ukrainer ein schwerer Schlag, weil etwa ein Drittel aller Kirchengemeinden des Moskauer Patriarchats in der Ukraine liegt. Wie es mit der UOK-MP weitergeht, ist ungewiss. Weder Moskau noch Konstantinopel werden ihr die Autokephalie gewähren.

Es scheint mehr so, dass eine weitere Unabhängigkeit von Russland nicht ins Denkschema von Putin passt.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat die Ukraine eine grosse Religionsfreiheit genossen – so gross wie kein anderes Land in der Region. Dadurch haben die christlichen Gemeinden grosses Wachstum erlebt. Russland hingegen versucht seit einiger Zeit das Evangelisieren zu regulieren und bremsen und übt Druck auf protestantische Kirchen aus, indem es ein negatives Bild von ihnen in den Medien präsentiert. Eine Invasion Russlands in die Ukraine würde nicht nur die Autonomie des Landes gefährden, sondern auch die Religionsfreiheit.

IGFM-Vorstandssprecher Lessenthin: Der Langzeitherrscher im Kreml kann sich auf den Schulterschluss mit dem Patriarchat verlassen, zumindest aber auf das Schweigen der Kirchenführung, wenn es um Annexion wie im Falle Krim oder um kriegerische Gewalt etwa gegenüber Georgien und aktuell gegenüber der Ukraine geht. Während fast alle Kirchenführungen zu Gewaltverzicht und Frieden aufrufen, schweigt ausgerechnet die von der drohenden Gewalt am stärksten betroffene russisch-orthodoxe Kirche zu der von Putin angeordneten Invasion.

Das russisch-orthodoxe Patriarchat schützt an erster Stelle sich selbst und seine Rolle als nationale und Identität schaffende Kraft Russlands. Es meint offenbar auch, dass sein Reich automatisch mitwächst, wenn Wladimir Putins Reich wächst. Das mittelalterliche großrussische Reich mit der Hauptstadt Kiew umfasste die Territorien der Ukraine, Russlands sowie von Belarus und gilt als deren Vorläuferstaat. Die Kiewer Rus wird mit der Christianisierung Russlands und Osteuropas verbunden und spielt somit sowohl für den neo-imperialistischen Kurs Putins wie auch den Führungsanspruch der ROK innerhalb der Orthodoxie eine wesentliche Rolle.

Beispiele aus dem kirchlichen Leben:

Bischöfe, die Kritik an Lukaschenkos Verbrechen üben, werden von der ROK ihres Amtes enthoben. Die Versetzung in den Ruhestand des belarussischen Erzbischofs von Grodno und Wolkowysk, Artemij Kishchenko, angeblich aus „gesundheitlichen Gründen“, verdeutlicht den Umgang der ROK mit kritischen Stimmen, die sich für Menschenrechte einsetzen.

Der Fall des russischen Erzpriesters der sibirischen Provinz Khabarowsk, Andrei Vinarsky, ist sinnbildlich für den regimetreuen Kurs der ROK. Vinarsky hatte sich wiederholt an Solidaritätsaktionen für die inhaftierten Oppositionspolitiker Oleg Senzow und Alexej Nawalny beteiligt und an Demonstrationen teilgenommen. Dafür wurde er von Sicherheitskräften verhaftet und für 25 Tage in Haft festgehalten. Nach seiner Entlassung wurde vom Kirchendienst suspendiert, bis er „öffentlich Reue zeige und sein Fehlverhalten eingestehe“.  Der Einsatz für Menschenrechte und gegen Diskriminierung ist aus Sicht der russisch-orthodoxen Kirche somit ein Fehlverhalten, das sanktioniert werden muss. Sie stellt sich damit auf die Seite derjenigen, die Meinungsfreiheit unterdrücken, Minderheitenrechte und politisch Andersdenkende verfolgen und verantwortlich für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen sind. mehr Informationen

Die Geburt der ukrainischen Identität begann mit einer Massentaufe in Kiew, bekannt als die Taufe der Rus im Jahr 988, angeführt von Prinz Wladimir. Das Volk der Rus waren ursprünglich Wikinger (nordische Völker) aus Schweden, die sich zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer niederließen.

Nach kirchlicher Überlieferung wurde das Christentum erstmals durch den Apostel Andreas in die Region gebracht, als er über das Schwarze Meer zu einer griechischen Kolonie auf der Krim reiste, wo mehrere Tausend zu Christus konvertierten.

Zwei Jahre vor der Massentaufe von Prinz Wladimir im Jahr 988 traf er sich mit Vertretern verschiedener Religionen, um eine Religion für sich und sein Volk zu wählen. Er fand den Islam ungeeignet wegen seiner Forderung nach Beschneidung und dem Verbot von Alkohol und Schweinefleisch. Einer seiner Gesandten berichtete ihm, dass er unter den Muslimen keine Freude finden könne; „nur Leid und ein großer Gestank.“

Er untersuchte das Judentum, kam aber zu dem Schluss, dass es von Gott verlassen worden war, weil es Jerusalem verloren hatte.

Aber als Vladimirs Gesandter die prächtige Hagia Sophia-Kirche in Konstantinopel und die darin enthaltenen extravaganten Rituale sah, war er überwältigt: „Wir wussten nicht mehr, ob wir im Himmel oder auf Erden waren“, berichteten sie, „noch so schön, und wir wissen es nicht, wie ich davon erzählen soll.“

Als Reaktion darauf kehrte Prinz Wladimir nach einem militärischen Sieg auf der Krim nach Kiew zurück und forderte sein Volk auf, seinem Beispiel zu folgen und sich massenhaft im Dnjepr taufen zu lassen. Zunächst taufte Wladimir seine zwölf Söhne und viele hochrangige Beamte.

Am folgenden Tag konvertierten die meisten Einwohner Kiews zum Christentum und ließen sich im Dnjepr taufen: „Reiche und Arme und Bettler und Sklaven“.

Wie der gute König Hiskia in der Bibel säuberte er die Idole von Kiew und zerstörte Holzstatuen slawischer heidnischer Götter, die verbrannt oder in Stücke gehackt wurden. Die Statue von Perun – ihrer höchsten Gottheit – wurde laut Philip Longsworths Geschichte Russlands in den Dnjepr geworfen.

All dies fand in Kiew statt, als Moskau noch ein dichter Wald war, der von Wölfen und Bären bewohnt wurde.

In der jüngeren Geschichte hat die russisch-orthodoxe Kirche darauf bestanden, dass sie der rechtmäßige Erbe der Taufe der Rus ist. Es ist ein integraler Bestandteil der langjährigen russischen Behauptung, die jetzt von Herrn Putin aufgestellt wird, dass die Ukraine keine echte Nation mit eigener Kultur und Geschichte ist. Die Ukraine ist bestenfalls ein „kleiner Bruder“ des russischen Hegemons.

1946 bildete die russisch-orthodoxe Kirche in Zusammenarbeit mit der sowjetischen Geheimpolizei einen Kirchenrat, um die ukrainische griechisch-katholische Kirche zu liquidieren, die die ukrainische kulturelle Identität und nationale Bestrebungen schützte.

„Im Vorjahr war die Führung der ukrainischen Kirche verhaftet worden. Diejenigen, die nicht ermordet wurden, wurden in Gulag-Lager verurteilt. Der erzwungene „Rat“, praktisch mit vorgehaltener Waffe, willigte in eine kirchliche Variante des klassischen Imperialismus ein, als die russisch-orthodoxe Kirche die ukrainisch-griechisch-katholische Kirche aufnahm, die legal zu existieren aufhörte“, erzählt Weigel.

Dissidenten unter den ukrainischen Geistlichen und Gläubigen gingen für die nächsten 45 Jahre in den Untergrund. Heute spielt die ukrainische griechisch-katholische Kirche eine bedeutende Rolle beim Aufbau einer religiös toleranten, demokratischen Ukraine“.

Patriarch Kirill von Moskau, dessen frühe Karriere auf eine Zusammenarbeit mit dem KGB hindeutet, hat das Moskauer Patriarchat enger mit dem Kreml verbunden. Dazu gehört die Unterstützung von Putins absurden Behauptungen, ein Verteidiger der christlichen Zivilisation zu sein, und die Unterstützung der Putin-Politik des Wiederaufbaus der russischen Hegemonie im ehemaligen sowjetischen Raum, der jetzt als Russkiy Mir („Russische Welt“) bezeichnet wird.

Bei Putins Amtseinführung 2012 erklärte Kirill Gott zur göttlichen Quelle der Macht des Präsidenten und beschrieb die russische Orthodoxie als Garant und Kurator von Putins persönlicher Autokratie.

Weil Patriarch Kirill und andere russische Kirchenmänner darauf bestehen, dass sie ein Monopol auf das Erbe der Taufe von 988 halten, kommen sie zu dem Schluss, dass die Ukraine ein Teil der russischen Welt ist und sein muss. more Informationen

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