Tunesien rüttelt an der Scharia

Präsident Essebsi will das islamische Erbrecht reformieren und die Rechte der Frauen stärken. Schon regt sich Widerstand.

Erst Ende Juli verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellt *, doch diesmal bewegt sich der tunesische Präsident Béji Caïd Essebsi auf besonders gewagtem Terrain. Mitte August 2017 verkündete er eine Reform des islamischen Erbrechts und löste damit eine erhitzte Grundsatzdebatte in der Region aus. Bisher bekommen männliche Erbberechtigte doppelt so viel wie Frauen, dafür muss der Mann die finanzielle Last der Familie tragen; entsprechende Regelungen finden sich im Koran. In weiten Teilen der islamischen Welt gilt das Erbrecht bis heute als unveränderliche religiös begründete Regel.

Abbas Schuman, Vizescheich der weithin anerkannten sunnitischen Al-Azhar-Universität in Kairo, bezeichnete den Vorstoß von Essebsi als „Widerspruch zu den Gesetzen des islamischen Rechts“. Das Erbrecht sei im Koran detailliert ausgeführt, die Praxis des Idschtihad, also der selbständigen Rechtsfindung bei unklaren Sachverhalten, sei damit ausgeschlossen. Die Antwort aus Tunesien kam prompt: Essebsi verbat sich die Einmischung der ägyptischen Gelehrten in die Angelegenheiten seines Landes.

Gänzlich andere Töne kommen von Geistlichen in Tunesien selbst. Der Obermufti des Landes, Othman Batikh, sicherte dem Präsidenten seine Unterstützung zu. Tunesierinnen seien ein „Musterbeispiel für die moderne Frau“, deren Status geschützt werden müsse. Angesichts der Tatsache, dass das Religionsministerium den Mufti ernennt und auch wieder entlassen kann, ist die Erklärung des tunesischen Fatwa-Amtes keine große Überraschung.

Nicht nur die Erbrechtsreform sorgte über die Landesgrenzen hinaus für Diskussionen: Muslimischen Tunesierinnen soll es in Zukunft erlaubt sein, Nicht-Muslime zu ehelichen, so ein weiterer Vorstoß von Präsident Essebsi. Das auf dem Koran basierende Eheverbot soll Gelehrten zufolge die Nachkommenschaft der Muslime sichern; da die Kinder die Religion des Vaters übernehmen, würde eine Heirat mit einem Nicht-Muslim den Fortbestand der Religion gefährden, so die Argumentation.  mehr Informationen

* In Facebook fand ich folgende Aussage:

 

 

 

 

Ob das nicht schon Gewalt ist, wenn eine Frau nicht „Nein“ sagen darf?

Update 15. September 2017

Tunesien hat ein Gesetz verabschiedet, wonach Frauen von nun an auch Nicht-Muslime heiraten dürfen. In einer öffentlichen Bekanntmachung zu der Gesetzesänderung gratulierte Präsident Beji Caid Essesbi den Tunesierinnen zu ihrer neuerlangten „Freiheit der Partnerwahl“.

Bisher konnte ein andersgläubiger Mann eine tunesische Frau nur dann heiraten, wenn er zum Islam konvertiert. Die Behörden verlangten vor der Eheschließung ein entsprechendes Zertifikat als Beweis. Das neue Gesetz tritt noch heute in Kraft, betroffene Paare können ihre Ehe ab sofort bei den Behörden eintragen lassen. Damit ist Tunesien das erste Land in der arabischen Welt, in dem sich Frauen außerhalb der offiziellen Staatsreligion verheiraten dürfen. Männern ist dies schon seit längerem erlaubt.  mehr Informationen

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