Terror ist eine Form der psychologischen Kriegsführung

Der Politologe und Terrorismus-Experte Dov Waxman hat die Auswirkungen von lang andauernden Terrorwellen am Beispiel von Israel untersucht. Hier sind einige Auszüge aus dem Interview bei watson. Dov Waxman ist Professor für Politologie, Internationale Beziehungen und Israel-Studien an der Northeastern University im US-Bundesstaat Massachusetts und Co-Rektor von deren Nahost-Zentrum

Terror wird nicht einfach von selbst wieder verschwinden. Wir müssen ein Stück weit damit leben.

Viel bequemer ist es, einen raschen Sieg gegen den Terror zu versprechen, doch das ist nicht nur unehrlich, sondern auch unverantwortlich, denn es bereitet die Bevölkerung nicht auf das vor, was unweigerlich kommen wird.

Terrorismus baut darauf, dass die Menschen die Wahrscheinlichkeit, selbst bei einem Anschlag zu sterben, massiv überschätzen. Klassischer Terror ist eine Form der psychologischen Kriegsführung.

Die israelische Erfahrung hat gezeigt, dass chronischer Terror beachtliche Widerstandskräfte in der Gesellschaft freisetzen kann. Das öffentliche Leben, die Wirtschaft und das politische System kollabierten nicht. Doch eine Gefahr ist die Stigmatisierung und Dehumanisierung jener Gruppe, mit der die Terroristen assoziiert werden. Dieselbe Entwicklung lässt sich derzeit leider auch in Europa hinsichtlich der Muslime beobachten.

Das ist die typische, psychologische Reaktion einer Gruppe, die mit einer externen Bedrohung konfrontiert ist. Der einzige Weg, sie zu vermeiden, ist sich immer wieder bewusst zu machen, dass die Terroristen einen verschwindend kleinen Anteil der Gesellschaft ausmachen, der sie entstammen, und für sie also keineswegs repräsentativ sind.

Terrorismus baut darauf, dass Individuen auf Angst und Bedrohung überreagieren.

Die Menschen werden sich schneller daran gewöhnen, als man sich jetzt vorstellen kann. Denken Sie an die Sicherheitsvorkehrungen an den Flughäfen. Früher zeigte man seinen Pass und passierte einen Metalldetektor. Heute müssen wir Schuhe und Gürtel ausziehen, Flüssigkeiten separat packen, Sprengstoffspuren-Tests über uns ergehen lassen – all dies sind Konsequenzen aus Anschlägen. Irgendwann vergessen wir, dass es jemals anders war.

Man muss realistisch sagen, dass sich die meisten Staaten eine massive Aufstockung der Sicherheitskräfte finanziell gar nicht leisten können. Die Erfahrung ist für Europa im Übrigen nicht neu. In den 1970er- und 1980er-Jahren überzogen links- und rechtsextreme Gruppierungen den Kontinent mit einer Terrorwelle. Die Leute vergessen schnell – auch eine Strategie, mit dem Terror fertig zu werden.

Für mich ist der auffälligste Unterschied zwischen damals und heute, dass Terroristen früher nicht bereit waren, Massenmord an Zivilsten in Kauf zu nehmen. Zu viele oder Unschuldige zu töten, hätte die Bewegung diskreditieren können. Die heutigen Dschihadisten kennen keine Grenzen, je mehr sterben, desto besser. Ein weiterer Unterschied: Das früher waren Gruppen mit einer Ideologie und Strukturen. Heute haben wir einsame Wölfe, die auf eigene Faust zuschlagen.

Ein wichtiger Faktor ist die soziale Resilienz, also der Widerstandskraft der Gesellschaft, gegenüber dem Terror. Ein anderer wichtiger Faktor ist das Vertrauen der Bevölkerung in seine staatlichen Institutionen. Ich glaube, die europäischen Gesellschaften wurde in der Vergangenheit mit weit größerem Ausmaß an Gewalt fertig. Aufpassen müssen wir bei den erwähnten Nebeneffekten, also die Stigmatisierung der Muslime und die Gefährdung unserer Privatsphäre und Bürgerrechte.   mehr Informationen

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