Update 15.6.21
Bennett ist der erste Millionär in diesem Amt, der sein Privatvermögen einem Hightech-Exit zu verdanken hat. Zudem ist der 49-Jährige der bislang zweitjüngste Mann, der in Israels Geschichte zum Premier ernannte wurde. Den Rekord hält weiterhin Netanjahu, der bei seiner ersten Premier-Ernennung 46 Jahre alt war. Interessant ist zudem, dass Bennett nicht entsprechend seiner politischen Agenda in Judäa und Samaria, sondern im vor Hightech-Millionären strotzendem Ra’anana wohnt. Nicht weniger interessant ist, dass er nicht beabsichtigt, mit seiner Ehefrau und seinen vier minderjährigen Kindern in die Residenz des Premiers in Jerusalem umzuziehen.
An der Spitze von vier Koalitionsparteien stehen Ex-Journalisten (Lapid, Michaeli, Sa’ar, Horowitz).
Dieses Mal ist keine jüdisch-orthodoxen Parteien an der Regierung beteiligt. Vier der fünf Knesset-Mitglieder, die bekennende Mitglieder der LGBT-Community sind, gehören der neuen Regierung an. Elf Abgeordneten sind Muslime, darunter ein Beduine aus dem Negev. Zwei gehören der drusischen Gemeinschaft an. Eine Araberin bringt einen christlichen Hintergrund ein. Den Koalitionsparteien gehören drei arabische Abgeordnete an. Das ist ein Höchststand, der weiter aufgestockt wird durch Issawi Frej von Meretz, der das Ministeramt für regionale Kooperation übernimmt. Bislang amtierten in Israels Geschichte überhaupt nur jeweils zwei Araber als Minister und als stellvertretende Minister. In dieser Regierung kommt überdies ein drusischer Minister hinzu. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes kommt es zur Beteiligung einer arabischen Partei an einer Regierung. Dass es sich bei Ra’am ausgerechnet um eine erzkonservative muslimische Partei handelt, die prominent mit der Islamischen Bewegung zu identifizieren ist, bringt offene Fragen.
Update 14.6.21
Eine hauchdünne Mehrheit der Abgeordneten im israelischen Parlament hat am Sonntag für die neue Regierung mit dem Programm „die Wende“ gestimmt. 60 von 120 Knesset-Mitgliedern votierten nach stürmischen Debatten für das Acht-Parteien-Bündnis unter Führung von Naftali Bennett von der ultrarechten Jamina und Jair Lapid von der Zukunftspartei. 59 stimmten dagegen, es gab eine Enthaltung. Dies bedeutet das vorläufige Ende der Ära von Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Knesset stimmt mit einer einfachen, aber keine absolute Mehrheit für die neue Regierung. Die Bestätigung einer neuen Regierung erfordert nur eine einfache Mehrheit, nicht die absolute Mehrheit. Andernfalls hätte die Enthaltung eines arabischen Abgeordneten der Regierungskoalition alles zum Scheitern gebracht. Der Knessetabgeordnete Saeed al-Harumi von der islamistischen Partei Ra’am entschied sich, nicht für die neue Regierung zu stimmen, weil diese immer noch beabsichtigt, die illegalen Beduinenbauten im Negev abzureißen. Al-Harumi hatte darauf bestanden, dass die neue Regierung alle Beduinenbauten im Süden Israels unabhängig von ordnungsgemäßen Genehmigungen legalisiert.
Das traditionelle Bild der 36. israelischen Regierung in der Präsidentenresidenz
Wie lange sich diese Regierung halten kann, ist offen. Schon die zuletzt amtierende, im Mai 2020 gebildete Regierung war unmöglich gewesen: ein komplizierter Organismus mit zwei Köpfen. Nach nur sieben Monaten, in denen über fast alles gestritten und fast nichts weitergebracht wurde, war die Regierung am Ende. Die am Sonntag angelobte Regierung hat mit ihrer Vorgängerin gemein, dass auch sie in einem gebrochenen Wahlkampfversprechen wurzelt. Sie besteht aus acht Parteien, die ideologisch keinen gemeinsamen Nenner haben. Wichtige Bereiche wird diese Regierung nicht bearbeiten, sondern nur ausklammern können. Israels Politik wird sich nicht fundamental ändern. Alle israelischen Premiers haben, innerhalb einer gewissen Bandbreite, ungefähr dasselbe gemacht, weil sie denselben nahostpolitischen und gesellschaftlichen Sachzwängen unterworfen waren. Wenn die neue Regierung schon nach wenigen Monaten zerbricht, dann gibt es womöglich ein Comeback von Netanjahu. Das Ziel der Kabinettsmitglieder müsste deshalb lauten, trotz ihrer Differenzen zumindest so lange zusammenzustehen, bis ein Comeback des Ex-Premiers wegen den Gerichtsprozessen rein juristisch kaum mehr möglich ist.
Der israelische Historiker Moshe Zimmermann sagt im Deutschlandfunk, der Zusammenschluss der acht Parteien werde nicht lange halten und langfristig keine Wende oder gar Revolution einleiten. Israel bleibe tief gespalten und die Mehrheit sei rechts und nationalistisch. Er rechne mit einem Comeback des langjährigen Ministerpräsidenten Netanjahu, betonte Zimmermann.
Es war Benjamin Netanjahus Glück, dass das Datum des Regierungswechsels in Israel zufällig auf den Jahrestag des Ablebens des Lubawitscher Rebben Menachem Mendel Schneerson fiel. Das gab Bibi die Gelegenheit, seine politischen Rivalen an das zu erinnern, was der Rebbe, der von einigen in der Chabad-Bewegung als Messias angesehen wird, ihm vor Jahrzehnten in New York sagte. “Ich erinnere mich an Kommentare, die der Rabbiner von Lubawitsch mir gegenüber machte: ‘Sie werden mit 119 Leuten [d.h. allen anderen Mitgliedern der Knesset] kämpfen müssen, aber Sie werden sich davon sicher nicht beeindrucken lassen, denn Gott ist auf dieser [d.h. Ihrer] Seite. Segen und Erfolg für Sie. Gott wird Sie segnen und Erfolg geben’”, twitterte Netanjahu.
Naftali Bennett schien auf Netanjahus Post mit einem eigenen Tweet zu reagieren, der den neuen Premierminister in einen Tallit (jüdischer Gebetsschal) gehüllt und mit dem priesterlichen Segensspruch versehen zeigt: “Gott segne dich und behüte dich; Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; Gott erhebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.”
Ismael Haniye und Hassan Nasrallah, die Chefs der vom Iran gelenkten Terror-Organisationen Hamas und Hisbollah, haben bereits jubelnd erklärt, dass sie jetzt erst recht jede Friedensregelelung ablehnen und die vermeintliche Schwäche Israel zur endgültigen Vernichtung des Judenstaates ausnützen wollen.
US-Präsident Biden sicherte der neuen Koalition seine Unterstützung zu. Auch Bundeskanzlerin Merkel gratulierte und betonte, Deutschland und Israel verbinde eine einzigartige Freundschaft, die man weiter vertiefen wolle. Die Bundesregierung werde sich weiterhin mit aller Kraft für die Sicherheit Israels und den Frieden im Nahen Osten einsetzen.