Sünde im Judentum und Christentum

Juden und Christen im Gespräch über die Bibel

Was verstehen wir unter Sünde?

Dienstag, 19. April, Radio Maria Schweiz

In dieser Sendung dabei ist Dr. Richard Breslauer, Dozent an der Jüdisch – Christlichen Akademie in Basel, und Hanspeter Obrist, Erwachsenenbilder aus Schmerikon.

Wie ist das jüdische und christliche Verständnis von Sünde?

Später folgt hier eine Zusammenfassung und ein Player mit der MP 3 Sendung.

 

Impuls von Hanspeter Obrist zum Thema

Sünde von der wörtlichen Bedeutung

Die eigentliche Bedeutung des Wortes „Sünde“ in der Bibel ist Zielverfehlung ( חֵטְא chet). Es bezeichnet die Situation, wenn ein Bogenschütze sein Ziel verfehlt.

In Richter 20,16 bezieht sich die Wendung לֹא יַחֲטִא (lo yachti) auf die Krieger von Benjamin, die nie das Ziel verfehlt haben. „16 Unter diesem ganzen Volk befanden sich siebenhundert besonders auserlesene Männer; sie waren alle Linkshänder und konnten einen Stein haargenau schleudern, ohne je das Ziel zu verfehlen.“

Im übertragenen Sinn bedeutet Sünde, dass man das Ziel verfehlt, zu dem man geschaffen wurde. Damit ist Sünde vielfältiger, als man allgemein annimmt.

Die eigentliche Bedeutung ist Zielverfehlung oder Verfehlung.

Sünde scheint im biblischen Kontext nicht nur eine unerwünschte Tat zu sein, sondern eher ein Zustand. In Psalm 51,7 steht: „Siehe, in Schuld bin ich geboren und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen.“

Und in Hiob 14,4: „Kann denn ein Reiner von Unreinem kommen? Nicht ein Einziger.“

Jesus sagt zum gelähmten Mann in Markus 2,5: „Deine Sünden sind vergeben“. Jesus sieht die eigentliche Not nicht im Gelähmt-Sein, sondern im Getrennt-Sein von Gott (Markus 2,9).

In 2.Mose 20,5-6 wird auch beschrieben, das Schuld und Segen auf die kommenden Generationen übergeht: „Ich suche die Schuld der Väter an den Kindern heim, an der dritten und vierten Generation, bei denen, die mich hassen; 6 doch ich erweise Tausenden meine Huld bei denen, die mich lieben und meine Gebote bewahren.“

Wenn aber jemand zu Gott umkehrt, ist er nur für seine Vergehungen verantwortlich. (Hesekiel 18,20).

Der Kern der Sünde bei Adam und Eva

Wie Sünde aus christlicher Sicht verstanden wird, schlüsselt uns die Beschreibung der ersten Sünde im 1. Mose auf. Der Mensch wird als Verwalter von Gott auf der Erde eingesetzt (1.Mose 2,15). Er trifft sich regelmäßig mit Gott (1.Mose 3,8). Der Mensch darf von allen Früchten essen, außer von einem Baum, dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen (1.Mose 2,17).

Im Gespräch mit der Schlange wird klarer, um was es bei diesem Baum geht. Es geht darum, ob der Mensch selbst beurteilt, was gut oder böse für ihn ist. Der Mensch macht sich damit unabhängig von Gott. „Ihr werdet sein wie Gott“, versprach der Durcheinanderbringer durch die Schlange in 1.Mose 3,5. In Jesaja 14,14 wird das Wesen des Bösen beschrieben: «Ich will über Wolkenhöhen emporsteigen, dem Höchsten will ich mich gleichstellen

Das eigentliche Wesen von Sünde ist, dass man von Gott gegebene Gaben und Grenzen in Frage stellt. Es ist, wie wenn ein Mosaikstein das Gesamtwerk verlässt.

Die Folge vom Sündenfall ist, dass der Mensch Gottes Gegenwart nicht mehr erträgt und sich vor ihm verbirgt. So sagt Adam zu Gott in 1.Mose 3,10:Ich habe deine Schritte gehört im Garten; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich“.

Der Mensch realisiert, dass er Gott nichts vorzuweisen hat und total von ihm abhängig ist. Doch der Mensch weicht Gott lieber aus.

Die Folge ist, dass der Mensch der Sterblichkeit unterworfen wird und vom Baum des Lebens abgeschnitten wird. Er verlässt den Garten Eden. Der Mensch nimmt Gott nicht mehr unmittelbar wahr.

In Jesaja 59,2 wird beschrieben, wie die Sünde die Beziehung zu Gott zerstört: Eure Vergehen stehen trennend zwischen euch und eurem Gott; eure Sünden haben sein Gesicht vor euch verdeckt, sodass er nicht hört.“

Und in Jesaja 1,15-17 steht: „15 Wenn ihr auch noch so viel betet, ich höre es nicht. Eure Hände sind voller Blut. 16 Wascht euch, reinigt euch! Schafft mir eure bösen Taten aus den Augen! Hört auf, Böses zu tun! 17 Lernt, Gutes zu tun! Sucht das Recht! Schreitet ein gegen den Unterdrücker! Verschafft den Waisen Recht, streitet für die Witwen!“

Sünde als Gegensatz von Glauben

Paulus bringt es in Römer 14,23 so auf den Punkt: „Alles, was nicht aus Glauben geschieht, ist Sünde.“ Glaube meint, auf Gott und sein Wort zu vertrauen und nach Gottes Bestimmung zu leben. Sünde ist, die göttliche Bestimmung zu verfehlen. Somit sind wir wieder beim Begriff Zielverfehlung für Sünde.

Sünde ist das Gegenteil von Glauben. Sünde ist Rebellion gegen die von Gott gegebenen Gaben und Grenzen. Sünde trennt uns von der Quelle des Lebens.

Sünde bedeutet nicht in Harmonie mit Gott leben.

Sünde als Abkehr von Gott

In Jesaja 1,4 wird es so beschreiben: „Sie haben den HERRN verlassen, den Heiligen Israels verschmäht und ihm den Rücken zugekehrt.“

Christen verstehen die Bibel so, dass der Mensch seine ursprüngliche Stellung beim Sündenfall durch Adam und Eva verloren hat und dass er diese nicht mehr aus sich selbst heraus erreichen kann.

Damit sind nicht einzelne Sünden gemeint, sondern die Tatsache, dass wir unserer ursprünglichen Bestimmung, „Stellvertreter Gottes auf Erden“ zu sein, verlassen oder verloren haben.

Es braucht eine Versöhnung mit Gott und eine Umkehr zu ihm. Paulus schreibt in 2.Korinther 5,20: „Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!“

Die Antwort des Menschen ist, Gott nicht mehr den Rücken zuzukehren, sondern sich ihm neu zuzuwenden und sein Rettungsangebot in Anspruch zu nehmen.

 

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