Russland ist seit 2014 im Krieg mit dem Westen

Gedanken von Marina Weisband, in Kiew geboren, eine deutsche Autorin und Politikerin in der FAZ

Okay, ihr wollt Verhandlungen, wie wollt ihr Putin an den Verhandlungstisch zwingen? Zu sagen: In der Ukraine ist nur dann Frieden, wenn die Ukraine kapituliert, ist nicht nur unwahr und unredlich, sondern auch zu 100 Prozent die Kreml-Kommunikationslinie.

Zu sagen: Wir müssen den Krieg schnell beenden, weil Leute hungern, aber dabei nicht zu sagen: Wir fordern, dass Russland die Hafenblockade öffnet und das Getreide ausfahren lässt, sondern zu sagen: Die Ukraine muss kapitulieren, damit Putin das Getreide verkaufen kann, das ist Kreml-Linie. Das sind Anwälte eines Aggressors.

Es sind nie Forderungen an Putin in diesen Briefen enthalten. Wer sagt: Wir fordern einen Waffenstillstand und frieren diesen Konflikt jetzt ein, gibt Putin zwanzig Prozent der Ukraine als Belohnung für seinen Angriffskrieg. Überhaupt ist die Frage: Warum sollte er jetzt aufhören, es läuft doch gut für ihn? Wenn zwanzig Prozent der Ukraine unter russischer Herrschaft sind, werden dort Filtrationszentren errichtet, finden dort Folterungen statt, Vergewaltigungen, Verschleppungen, Mord. Ist das der Frieden, den die Autoren wollen?

Es wurde kaum wirklich berichtet, was in Russland derzeit passiert. Dort werden ja seit 2014 regelmäßig zur besten Sendezeit in den Talkshows rauf und runter die Fragen gestellt: Wie schnell können wir das Baltikum erobern? Wie schnell können wir in Berlin stehen? Wie sterben die Heiden im Fall eines Atomkriegs? Die ganze Zeit wird die russische Bevölkerung darauf eingestimmt, dass die Ukrainer keine Menschen sind, da läuft eine Entmenschlichungskampagne seit acht Jahren. Es wird der Überfall auf Moldawien und auf das Baltikum propagandistisch vorbereitet. Und alle Russen werden auf einen Krieg – und zwar einen moralisch-ethischen Krieg – gegen den Westen eingeschworen. Das heißt, Russland sieht sich im Prinzip seit 2014 in einem Krieg gegen den Westen. Und der Westen beschließt einfach, das nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Ich glaube, im russischen Staat gibt es eine besondere Autoritätskultur. Und das liegt einfach daran, dass dieser Staat – und ich generalisiere jetzt nicht, weil ich ja per Definition vom russischen Staat spreche – einfach seit dem 12. Jahrhundert autoritär regiert wurde. Von der Goldenen Horde, von Zaren, Ivan dem Schrecklichen, dann kam der Stalinismus mit den Säuberungen, jetzt leben sie in einer Putin-Diktatur. Und die wenigen Lichtblicke, die wenigen Zaren, die versucht haben, Reformer zu sein, Leute wie Gorbatschow, also diese wenigen Öffnungen gen Westen, gen einer liberalen Politik mit mehr Rechten für die Menschen, einer Abschaffung der Leibeigenschaft – all das war im Volk extrem unbeliebt, und diese Leute sind alle gestürzt worden und bis heute von der Geschichte verhasst.

Weitere Hintergundinfos:

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat der russischen Armee Folter, illegale Verhaftungen und Freiheitsberaubung von Zivilisten im Süden der Ukraine vorgeworfen. „Die russischen Truppen haben die von ihnen besetzten Gebiete im Süden der Ukraine in einen Abgrund der Angst und der wilden Anarchie verwandelt„, erklärt die HRW-Beauftragte für die Ukraine, Julia Gorbunowa. HRW befragten nach eigenen Angaben mehr als 70 Ukrainer, die mehr als 40 Fälle von Misshandlungen und Folter schilderten. Die Opfer wurden verprügelt oder Stromstößen ausgesetzt, sie erlitten Verletzungen an den Rippen oder Zähnen, Verbrennungen oder Gehirnerschütterungen.

Im Ukraine-Krieg hat Russen-Außenminister Lawrow gedroht, weitere Gebiete zu besetzen. Politologe Albert Stahel winkt ab. Russland verfüge im Ukraine-Krieg über ein Waffenarsenal, «das mehrheitlich noch aus der Sowjetzeit stammt», erläutert Stahel. Russland habe gar nicht genügend militärische Mittel, um die gesamte Ukraine erobern und besetzen zu können. «Die Drohungen von Lawrow sind deshalb als reiner Bluff zu interpretieren», so Stahel. Stahel geht weiter davon aus, «dass Putin mit seinen Abstandswaffen die Städte und die Infrastruktur der Ukraine weiterhin zertrümmern wird.» Den Vernichtungskrieg könne der Kreml-Herrscher ungehindert fortsetzen.

Den russischen Streitkräften gehen nach Einschätzung des britischen Militärgeheimdienstes spezifische Bodenraketen aus. Deshalb würden verstärkt Luftabwehrraketen auch für Landangriffe eingesetzt, berichtet das britische Verteidigungsministerium. Da diese aber eigentlich für den Abschuss von Flugzeugen sowie Raketen gedacht seien, könnten sie am Boden ihre Ziele verfehlen. Deshalb seien sie insbesondere für Soldaten und Zivilisten gefährlich. Bei massiven Gebäuden hätten sie kaum Schlagkraft.

Russen werden nach nur 5 Tagen Training in den Ukraine-Krieg geschickt, wie die «Moscow Times» berichtet. Sie stützt sich dabei auf die Berichte eines Soldaten, der Ivan genannt wird, um anonym zu bleiben. Ivan berichtet von Kameraden, die ein Maschinengewehr nicht bedienen konnte. Pro Monat erhielt Ivan 240’000 Rubel (4000 Franken) und damit deutlich mehr als den Durchschnittslohn in Russland. Doch Geld war laut eigener Aussage kein Anreiz: «Als die ‹militärische Spezialoperation› – die eigentlich ein Krieg ist – begonnen hat, sah ich es als persönliche Tragödie.» Er habe kämpfen wollen, denn «ich bin ein Patriot». Eine Woche Training ist laut Militär-Analyst Pavel Luzin «Nichts». Es sei «der direkte Weg ins Spital oder den Leichensack». Die kurze Ausbildung werde Russlands Probleme mit der Mobilisierung und der Moral weiter verschärfen. Wie viele russische Kämpfer im Ukraine-Krieg gefallen sind, ist nicht offiziell bekannt. Der US-Geheimdienst CIA schätzt die Zahl auf 15’000. Andere Schätzungen gehen von bis zu dreimal mehr toten Russen aus.

Bereits 30’350 russische Soldaten sind dem bisherigen Ukraine-Krieg zum Opfer gefallen. Für Präsident Putin ist dieser hohe Verlust jedoch ein «lohnender Preis» – selbst für einen kleinen Sieg in der Ukraine. Dies zeigt ein vertraulicher Bericht britischer Regierungsvertreter, welcher der britischen Zeitung «Mirror» vorliegt. Im Schreiben wird klargestellt: Die britischen Regierungsvertreter widersprechen Putin. Sie warnen nun sogar davor, dass die russische Armee schon bald kollabieren könnte. Aus diesem Grund hätten Kreml-Vertreter den russischen Präsidenten davon abhalten wollen, mit der Invasion fortzufahren – vergeblich. Auch deren Warnung, dass «die Dinge schieflaufen, vielleicht katastrophal schief», sei bei Putin auf taube Ohren gestoßen.

Seit Kriegsbeginn sind nach Schätzung der ukrainischen Streitkräfte rund 39.000 russische Soldaten den Kämpfen zum Opfer gefallen. Das berichtet das Portal „The Kyiv Independent“. Außerdem seien unter anderem 863 Artilleriesysteme zerstört worden.

Japan warnt vor einer zunehmende militärischen Bedrohung durch Russland. Insbesondere bestehe die Gefahr, dass vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine die Botschaft ausgehe, dass ein Versuch, „einseitig gewaltsam den Status quo zu verändern, akzeptabel ist“, heißt es im jährlichen Weißbuch des japanischen Verteidigungsministeriums.

Russland behauptet, die Region Luhansk zu kontrollieren. Der Gouverneur widerspricht – und berichtet von katastrophalen Zuständen und Zwangsrekrutierungen. Sie benutzen die zwangsmobilisierten Soldaten buchstäblich als Kanonenfutter. Sie nehmen frisch rekrutierte Soldaten und werfen sie an die Frontlinie. Ukrainische Soldaten verteidigen ihre Positionen und eröffnen das Feuer, und so finden die Russen heraus, wo sich die ukrainischen Truppen verstecken. Dann beschießen die Russen die ukrainischen Stellungen mit Artillerie. Und was ist der Ausweg für diese Menschen, die gegen ihren Willen eingezogen wurden? Sie müssen sich der ukrainischen Armee ergeben. Das ist schwer, denn im Moment stehen sie auf der Seite des Feindes. Aber sie müssen versuchen, auf dem Schlachtfeld zu bleiben, während der Angriff stattfindet, und alles tun, um sich zu ergeben. Das ist die einzige Möglichkeit, am Leben zu bleiben. Diejenigen, die früher prorussisch waren und seit 2014 in den besetzten Gebieten geblieben sind, haben ihre Ansichten wahrscheinlich nicht geändert. Aber in den neu besetzten Gebieten, in die die Russen nach dem 24. Februar eingedrungen sind, kann ich sagen, dass viele Einheimische eine proukrainische Einstellung haben. Da Lyssytschansk auf einem Hügel liegt, wurde Wasser in die Stadt gepumpt. Jetzt, nach der Zerstörung der Wasserversorgung, ist es einfach unmöglich, die Stadt zu versorgen. Und natürlich werden die Städte nicht auf die Heizperiode vorbereitet sein.

Das Plakat ist an einen Pfeiler geklebt. Darauf zu sehen ist ein Soldat, der durch das Zielfernrohr eines Gewehrs schaut. „Raschisten, ihr seid bereits im Fadenkreuz. Cherson wird frei sein„, steht darüber. Das Wort Raschisten ist eine Abkürzung für russische Faschisten. Solche Bilder verbreiten ukrainische Accounts auf Telegram und sie sind ernst gemeint. Die Russen hätten auch dank der Tätigkeit ukrainischer Partisanen im besetzten Gebiet inzwischen Angst vor der ukrainischen Armee, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Für die Ukraine sind heute die russischen Truppen die Besatzer. Sie nennen sie Orks oder eben Raschisten. Indem sie ihren Widerstand als Partisanenkampf bezeichnen, wollen sie auch die russische Behauptung brechen, Russland bekämpfe mit seinem Einmarsch Nazis in der Ukraine. Die sowjetischen Partisanenbewegung kämpfte ab 1941 in den besetzten Gebieten gegen die Nazis. Für die russischen Besatzer könnte sich das zu einem Alptraum entwickeln und die niedrige Moral der Truppen weiter zerstören.

Sergei Alexandrowitsch Karaganow ein russischer Politikwissenschaftler, der den Rat für Außen- und Verteidigungspolitik leitet, eine von Witali Schlykow gegründete Denkfabrik für Sicherheitsanalysen, meint, dass sich Europa in 10-15 Jahren nördlich von Frankreich aufteilen wird. Der Norden hält zu Amerika und der Rest von Europa kommt zu Eurasien in dem China eine führende Rolle spielen wird (Video bei 1. 00.35). Karaganow soll sowohl Putin wie dem Außenminister Sergei Lawrow nahestehen. Seinen Vorstellungen wird eine enge Verbindung zur Außen- und Sicherheitspolitik Putins und zum Konflikt um die Ukraine zugeschrieben.

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