Jüdisches Neujahrfest in Uman Ukraine

Zehntausende chassidische Pilger werden trotz des russischen Angriffskrieges zum jüdischen Neujahrsfest (Freitagabend 15. September 2023) in der zentralukrainischen Kleinstadt Uman erwartet. „Wir erwarten über 30.000 Pilger“, sagt Vizebürgermeister Oleh Hanitsch im ukrainischen Nachrichtenfernsehen.

Die Daten basieren auf Angaben von Tourismusanbietern zu verkauften Touren in die Stadt im Gebiet Tscherkassy. So viele orthodoxe Pilger seien es auch in Friedenszeiten vor der Corona-Epidemie gewesen, sagt der Vertreter der Stadt. Im ersten Kriegsjahr 2022 reisten nach seinen Angaben trotz Warnungen 23.000 Chassiden nach Uman.

Am Sonntag erst hatte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu wegen fehlender Luftschutzkeller vor Reisen nach Uman gewarnt. „Gott hat uns nicht immer beschützt, weder auf europäischem Boden noch auf ukrainischem Boden“. Dieser Kommentar löste in Haredi-Kreisen Empörung aus und führte später zu mehreren verurteilenden und widerlegenden Erklärungen, unter anderem von der Shas-Partei, die sagte: „Gott hat das Volk Israel immer beschützt.“ Trotz seiner Warnungen und der anhaltenden allgemeinen Warnung vor Reisen in die Ukraine genehmigte die Regierung 4 Millionen NIS (1 Million US-Dollar) als Hilfe für diejenigen, die die Reise antreten. Die Stadt ist seit dem Beginn der russischen Invasion vor über 18 Monaten mehrfach von Raketen- und Drohnenangriffen betroffen gewesen. Zehntausende strengreligiöser Juden pilgern jedes Jahr zum jüdischen Neujahrsfest in die Ukraine, um das Grab des Rabbi Nachman in Uman zu besuchen. Die knapp 200 Kilometer südlich von Kiew gelegene Kreisstadt hatte dabei selbst vor dem Krieg nur etwas mehr als 80 000 Einwohner.

Das Ziel der jüdischen Pilger ist die Grabstätte des berühmten Rabbiners „Nachman von Uman“. Uman ist eine Stadt in der Ukraine im Osten der historischen Region Podolien. 

Für viele Juden ist die Pilgerreise nach Uman der Höhepunkt des Jahres. Der geistige Führer der jüdisch-chassidischen Bewegung war „Rebbe Nachman von Breslev“. Die letzten Monate seines Lebens hatte der geliebte Rabbiner in der ukrainischen Stadt Uman verbracht. Vor seinem Tod versprach er seinen Anhängern, „für jeden zu intervenieren, der zu den Rosh Ha’Shana Feiertagen kommen wird, um an seinem Grab zu beten.“ Selbst dem „schlimmsten Sünder“ würden so seine Sünden vergeben. Das verlockende Versprechen hält die Wallfahrer auch in diesem Jahr nicht davon ab, an das Grab ihres Rebbes zu pilgern.

In den Jahren zuvor besuchten jährlich 30.000 bis 40.000 jüdische Besucher die Grabstätte ihres Rabbiners in Uman.

Was für Moslems Mekka ist, ist für chassidische Juden die Stadt Uman in der ukrainischen Provinz. Jedes Jahr pilgern zu Rosch HaSchana bis zu 50’000 Orthodoxe dorthin. Zwischen den Wohnblöcken tanzen sie sich in Ekstase und warten auf den Messias. Zwischen Plattenbauten liegt Rabbi Nachman von Brazlaw begraben, den Chassiden als Heiligen verehren.

Die Stadt gerät dann immer in einen Ausnahmezustand, den viele der rund 85.000 Einwohner Umans nicht mehr wollen. Zwar überlassen sie den Pilgern gerne Schlafplätze und verlangen horrende Preise für ein Bett, doch der Groll gegen die Fremden ist groß. In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Spannungen zwischen der Bevölkerung und den Gästen. Die meisten Pilger kommen aus Israel, viele sind aus den USA, Großbritannien, Frankreich oder Spanien.

„Chassidische Juden sind sehr spirituell, Musik und Tanz spielen eine große Rolle„, sagt Daniel Epstein, Mitarbeiter am Zentrum für Jüdische Studien an der Kiewer Mohyla Akademie. Für die Pilger ist Nachman von Brazlaw ein Heiliger. Beten sei wichtiger als Torastudium, predigte der Rabbi vor mehr als 200 Jahren und begründete damit eine neue Strömung im chassidischen Judentum. Nachman lehrte in der Westukraine, wo viele Juden Analphabeten waren und deshalb die Tora nicht studieren konnten. Spirituelles Glück könne jeder finden, ohne sich an Religionsregeln zu klammern, sagt Nachmans Lehre. „Darin unterscheiden sich seine Anhänger von anderen religiösen Juden, die sich strenger an die Tora und ihren Kommentar, den Talmud halten“, erläutert der Wissenschaftler Epstein.

Der tuberkulosekranke Nachman (1772–1810) hatte die ekstatische Freude zur Glaubenspflicht erklärt. „Es ist ein großes Gebot, immer glücklich zu sein“, verkündete er seinen Chassiden. Mache es dir zur Gewohnheit, zu tanzen, zu singen, und „wenn der einzige Weg, dich froh zu machen, darin bestehen sollte, etwas Albernes zu tun, dann tu es“ – das sind Lehrsprüche des Meisters, die seine Schüler bis heute überliefern.

Dass der Rebbe seine Grabstätte gerade in Uman haben wollte, dass er seine Jünger aufforderte, bis zum Ende der Zeiten zum jüdischen Neujahrsfest Rosch HaSchana gerade dorthin zu pilgern, liegt daran, dass eine Generation früher in Uman eines der furchtbarsten Judenpogrome der osteuropäischen Geschichte stattgefunden hatte – das Massaker der kosakischen „Hajdamaken“, die dort im Jahr 1768 zwischen 2000 und 20.000 Juden ermordeten. Dass „der Rebbe“ bei ihnen begraben sein wollte, zeigt, dass er die Freude, die er predigte, keineswegs als loses Vergnügen sah. Seinen Schülern trug er auf, ausgerechnet an den Gräbern der Ermordeten den vielleicht größten Jubelvers der Heiligen Schrift zu lesenPsalm 150 mit dem Befehl, „alles, was Odem hat“, möge mit „Posaunen, Psalter und Harfen“ den Herrn loben, mit „Pauken und Reigen“, „Saiten“, „Pfeifen“ und „hellen Zimbeln“. Ganz gleich, ob am Friedhof der Märtyrer oder an der Festtafel: „Du musst dich zwingen, immer glücklich zu sein“, sagte Rabbi Nachman.

Die Tradition vom Beten auf den Gräbern und zu den Verstorbenen steht eigentlich im Widerspruch zu Torah:  4.Mose 19,11 Wer irgendeinen toten Menschen anrührt, der wird sieben Tage unrein sein. /  Haggai 2,13 Haggai sprach: Wenn aber jemand durch Berührung eines Toten unrein wäre und eins davon anrührte, würde es auch unrein? Die Priester antworteten und sprachen: Es würde unrein/ 2.Mose 3,15 Und Gott sprach weiter zu Mose: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der HERR , der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name auf ewig, mit dem man mich anrufen soll von Geschlecht zu Geschlecht.

Wenn hinter den Plattenbauten in Uman die Sonne untergeht, versammeln sich Tausende Juden am Ufer eines Sees. Sie beten, singen oder sitzen auf Felssteinen und meditieren. Einige warten auf den Messias. Sie glaubten, das Rabbi Nachman die Ankunft des Heilsbringers prophezeit hat, was jedoch umstritten ist. Unten an den Teichen, wo die Nazis die Juden töteten, hat der „Taschlich“ begonnen, die Reinigung am ersten Neujahrstag. Sie stehen am Ufer, sie leeren ihre Taschen aufs Wasser, sie schütteln die erhobenen Hände, beten gegen den Himmel, zu Hunderten, zu Tausenden. Die Chassidim sind gehalten, sich nicht mehr als einen Kilometer vom Grabmal des Rabbi Nachman zu entfernen, um seines inspirierenden Geistes nicht verlustig zu gehen.

Der Lärm ist ohrenbetäubend. Hinter den Tanzenden, auf dem Platz zwischen der großen Synagoge und dem Mausoleum des verehrten Rabbi Nachman, wogen Tausende und Abertausende von Chassidim, singend und sich wiegend und rufend auch sie, und aus den Lautsprechern oben beim Hotel schallt seit Stunden durchdringender hebräischer Gesang.

Ungläubige sind am Grab des Rabbis nicht gern gesehen. Die Plattenbausiedlung ist für Nichtjuden gesperrt. Die Polizei schirmt die Pilgerstätte ab, kontrolliert an drei Straßensperren die Reisepässe der Besucher. Wer es dennoch ins Wohngebiet schafft, wird von den Chassiden ignoriert. Darin unterscheiden sich Chassiden von ultraorthodoxen Juden, die mitunter Steine auf Nichtgläubige werfen. Lediglich das weibliche Geschlecht kann die Pilger in Rage bringen: Das Neujahrsfest ist für Frauen Tabu. Ihre Anwesenheit provoziert die Gläubigen. Frauen sind auf dem heiligen Grund keine zugelassen.

Der Philosoph Martin Buber hat die Lebenswelt der Chassiden, jener jüdischen Erweckungsbewegung, die vor drei Jahrhunderten mit dem sagenumwobenen Rabbi Israel Ben Elieser, dem „Baal-Schem-tow“, gerade hier in der Ukraine begann, einmal eine „legendäre Wirklichkeit“ genannt. Die mündlichen Erzählungen der Schtetl, der verlorenen jüdischen Siedlungen in der Weite des Ostens, stehen am Anfang dieses Universums.

Der Baal-Schem-tow taucht darin auf, der „Herr des guten Namens“, der die Juden aufforderte, Gott nicht nur im trockenen Studium zu suchen, sondern vor allem in der jubelnden Ekstase. Man sieht ihn beim Gottesdienst mit der Torarolle tanzen.
Das Städtchen Uman ist um das Jahr 1800 durch Rabbi Nachman von Bratzlaw, einen Urenkel des Baal-Schem-tow, zur zentralen Bühne der chassidischen Geschichten geworden.

Die Oktoberrevolution brachte neue Pogrome, Stalin deportierte von den überlebenden Chassiden alle, die an ihrem Glauben festhielten, nach Duschanbe oder Samarkand, und als 1941 Hitler die Sowjetunion überfiel, vernichteten deutsche Mordkommandos an den Teichen unterhalb von Rebbe Nachmans Grab auch diejenigen Umaner Juden, die mittlerweile einen weltlichen Lebensstil angenommen hatten. Nach Angaben des „Breslov Research Institute“ wurden damals 17’000 Menschen in die Vernichtungslager verschleppt, ertränkt oder erschossen.

Zu Sowjetzeiten war das Grab von Rabbi Nachman, der seine letzten Jahre in Uman verbrachte, heruntergekommen. Nach dem Krieg erklärte die Sowjetmacht Uman zur geschlossenen Stadt. Nachmans Grab wurde zubetoniert und darüber entstanden zuerst Bauernhütten, dann wurde eine Blocksiedlung errichtet.

Gedaliah Fleer, der 1940 geboren wurde, ist er heute eine Schlüsselfigur des neuen Uman. Aufgewachsen ist er in einer mäßig religiösen jüdischen Familie in New York. Mit 22 Jahren, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, fasste er den verrückten Plan, heimlich durch den Eisernen Vorhang hindurch zum „Rebbe“ zu pilgern, getreu Rabbi Nachmans Gebot, alljährlich zu Neujahr an seinem Grab zehn Psalmen zu sagen. Uman schien 1962, als Fleer zum ersten Mal die Fahrt versuchte, für Amerikaner unerreichbar. Es war als Rüstungsstandort Sperrgebiet. Jede Fahrt dorthin konnte in Sibirien enden. Er kam im zweiten Anlauf, 1963, dann auch wirklich durch, nachdem er beim ersten Mal wenige hundert Meter vor dem Ziel festgenommen und zurückgeschickt worden war.

Im Jahre 1988 hat der Pilgerstrom begonnen, als Gorbatschew rund 200 Chassidim aus Israel gestattete, am Grabmal des großen Rabbi Nachman in Uman zu beten, zu tanzen und Gott um seinen Segen zu bitten. Jahr für Jahr wuchs die Zahl der Teilnehmer,
Anfang der Neunziger restaurierte die Ukraine die Pilgerstätte. Später kauften chassidische Gemeinschaften das Grundstück. Ukrainische und ausländische jüdische Gemeinden organisieren die Pilgerfahrt. Nun baute ein israelischer Geschäftsmann eine Kantine, in der es für 8000 Pilger kostenloses Essen gibt. Jüdische Gemeinden planen in Uman die größte Synagoge der Welt.

Die meisten Einheimischen leben nicht gern in dieser Einöde, sie würden am liebsten Reißaus nehmen, wenn sie könnten. Das Durchschnittseinkommen liegt bei rund 280 Euro im Monat. Zu den Pilgern besteht eine gespannte Situation. Wenn man im Umkreis von Grab ist, lässt sich jede Wohnung und Bett gut vermieten. So zahlen Pilger für eine Wohnung in den Plattenbauten rund 2000 Dollar für eine Woche oder 300 -500 Euro pro Nacht in einem engen Sieben-Bett-Zimmer. Sonst kann man den Chassidim fast nichts verkaufen, denn sie bleiben unter sich. Auch kaufen immer mehr Chassidim sich Wohnungen in Uman, die sie das Jahr über leer stehen lassen.

Das große Geschäft macht Kiew. Auf dem Flughafen der ukrainischen Hauptstadt Kiew steht für die Charterflüge der Chassiden ein kompletter Terminal bereit. Mit dem Bus geht es dann weiter ins rund 250 Kilometer entfernte Uman.
Fromme Juden feiern Rosch ha-Schana in Uman

BRESLOV UMAN ROSH HASHANA DANCING RAV ELAZAR KENIG AND RAV NACHMAN BURSTIEN IN KLOYZ 5773 2012

2016 kamen rund 50’000 Pilger nach Uman2014 waren es 25’000 Pilgern.

Vergleiche auch Artikel: Rosch HaSchana – Jüdisches Neujahr

Ukrainische Nationalisten zerstören jüdische Zeltstadt

Ukrainische Nationalisten haben in Uman eine Zeltstadt zerstört, die chassidische Juden im Vorfeld von Rosch HaSchana, dem jüdischen Neujahrsfest, errichtet hatten.

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