Die tödliche Gefahr der Karikaturen

Humor ist, wenn man über sich selbst lacht. Wer die Identität anderer Menschen lächerlich macht, spielt mit dem Feuer. Juden verbunkern sich in Israel, weil in der muslimischen Welt ständig Karikaturen  und antisemitische Propaganda die Runde macht. Sie zerstören jegliches Vertrauen zueinander. Antisemitische Bücher gehören in den islamischen Ländern zu den Bestsellern.

Für was sind eigentlich Hollande, Merkel, Abbas, Netanjahu und Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keita in Paris auf die Strasse gegangen? Gegen Terrorismus, für das Recht Religionen zu denunzieren oder gegen die drohende Eskalation der Gewalt gegen muslimische Menschen? Warum wurde der Anschlag im jüdischen Markt nicht gleichwertig gewertet? Alle wollten Charlie sein, jedoch niemand Jude.

Europa offenbart eine Naivität im Umgang mit dem Islam. Religiöse Ahnungslosigkeit herrscht weit und breit. Nicht nur bezüglich des Islam, sondern auch gegenüber dem christlichen und jüdischen Glauben. Wer nämlich weder das Christentum noch Judentum oder gar den Islam kennt, kann nicht mit religiös motivierten Menschen kommunizieren. Wir können in einer globalen Welt nicht davon ausgehen, dass andere Menschen Religion und Politik automatisch trennen, ob das uns gefällt oder nicht. Es braucht das Gespräch zwischen und über den Islam, das Christentum und dem Judentum. Solange die Mitglieder einer Religion keine Ahnung haben, was die anderen glauben, wird man sich nur von Vorurteilen leiten lassen. Es ist auch anzunehmen, dass sich islamische Geistliche nicht von weltlichen Politikern ihren religiösen Kurs vorschreiben lassen. Anders ist es, wenn man gemeinsame Werte festmachen kann und Unterschiede gegenseitig respektiert werden.

Wo liegen die Wurzeln? Der Mensch braucht eine Identität. Religion ist eine davon. Auch Atheismus ist eine Form des Glaubens. Wenn ein Mensch seinen Glauben nicht mehr leben darf und keine Möglichkeiten hat für seine Rechte in der Gesellschaft einzustehen (z.B. Gesetzesvorschlag einbringen) und auch das Gefühl hat, nicht gehört zu werden, der hat nur noch die Möglichkeit der Demonstration oder gewalttätigen Aktionen. Wenn die Ordnungsmacht die Rechte der Minderheiten einschränkt oder eine andere Gruppe bevorzugt, kann es zur Eskalation kommen. Solange Länder alle Religionen schützen ist die Gefahr von Gewalt geringer. Juden konnten über Jahrhunderte in verschiedenen Staaten ihren Glauben praktizieren und sie haben keine Anschläge ausgeführt.

Wenn nun die Identität und die Existenz einer Gruppe in Frage gestellt werden, können neue Kräfte in Bewegung kommen. Als in Russland Pogrome an Juden stattfanden, wurde nach einem Ausweg gesucht. Weil die Juden immer wieder von einem Ort zum anderen fliehen mussten, wurde die Idee einer jüdischen Heimstätte geboren. Mit dem Zweiten Weltkrieg wurde dieses Konzept bestätigt, niemand wollte die jüdischen Flüchtlinge aufnehmen. Da sich bis heute die antisemitische Propaganda weiter aufbaut, entsteht eine immer grössere Kluft, vornehmlich zwischen der jüdischen und islamischen Welt.

Indem islamische Staaten freie Meinungsäusserungen unterdrücken (z.B. Blogger in Saudi-Arabien) wird der tolerante Islam immer mehr verdrängt. Tolerante Muslime werden auf einmal in eine Ecke gedrängt und durch ihre Abwehr, entsteht auf einmal ein Kluft, die vorher so nicht da war und auch nie Thema war: ihre Religion.

Oft werden die Religionen falsch wahrgenommen. Im Openforum Davos 2015 wurde vorausgesetzt, dass die religiöse Schriften Toleranz, Akzeptanz und Gerechtigkeit predigen. Doch jede Religion ist von ihrem Wesen her intolerant. Ihre Werte und Lebensform sind die „Richtigen“. Die meisten muslimischen Staaten kennen keine Toleranz für Menschen, die vom Islam zu einer anderen Religion wechseln wollen. In einigen Ländern steht darauf sogar die Todesstrafe. In Nationalstaaten ist es jedoch meistens so, dass alle Religionen frei praktiziert werden dürfen. Schwierigkeiten entstehen, wenn der Staat einige Kompetenzen an die Religionen delegiert (z.B. Zivilstand und Totenruhe). Problematisch ist auch, wenn ein Staat eine Religion mit Steuergeldern bevorzugt. So erhält eine Religion Macht, die sie aus sich selbst nicht hätte. Trotzdem muss der Staat die Religionen schützen.

In Frankreich waren vom Staat alle Rechte gegeben. Die Religion der Menschen wird vom Staat nicht erfasst. Jeder hat die gleichen Rechte niemand wird aufgrund seiner Religion bevorzugt. Warum also diese Eskalation?

Heute haben wir in Europa einen Konflikt zwischen der Gesellschaft und der Religion. Gläubige Menschen werden oft nicht ernst genommen und an den Rand gedrängt. Man macht sie lächerlich anstatt in die Gesellschaft positiv einzubinden.

So werden gesellschaftliche Initiativen von religiösen Menschen bekämpft statt Wert geschätzt (z.B. Sprachkurse). Manche Angebote werden abgelehnt, weil der Initiant religiös ist. Anstatt dem Religiösen in der Gesellschaft einen Platz zu geben, wird Religion verbannt.

Der Mensch braucht eine Identität, die soll er allerdings frei wählen können. Je mehr einzelne Gruppen in eine Ecke gedrängt werden, desto mehr stärkt man deren Zusammenhalt. Religiöse Menschen sondern sich immer mehr ab, anstatt sich in die Gesellschaft einzubringen.

Der Weg aus dem Dilemma ist: Gemeinsam für die Freiheit der Religionsausübung auf der ganzen Welt einstehen und gleichzeitig die Unterschiede kennen, einander zuhören und sich gegenseitig in der Unterschiedlichkeit respektieren. Staatlich müssen alle Menschen die gleichen Rechte haben, doch innerhalb der Religionen muss auch die Freiheit bestehen, Dinge geschlechterspezifisch zu regeln (z.B. Bei Muslimen und Juden nehmen Frauen gesondert am religiösen Leben teil). Ein hoher staatlicher Wert muss die freie Wahl und Wertschätzung von Religion bleiben. Transkulturelle Kommunikation gehört heute zur Basis in Wirtschaft und Politik.

Text: Hanspeter Obrist, Erwachsenenbildner in transkultureller Kommunikation

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