Die Kreuzzüge aus einer neuen Perspektive

Immer wieder wird die Frage gestellt: Warum die Christen Kreuzzüge veranstalteten? Dazu gibt es interessante Hintergrundinformationen:

Der amerikanische Religionssoziologe Rodney Stark stellt in seinem Buch „Gottes Krieger“ die heute gängige Sicht auf die Kreuzzüge in Frage, nach der wenig zivilisierte europäische Ritter einen toleranten, wissenschaftlich höher entwickelten Islam brutal überfielen.

Die Kreuzzüge fanden nicht ohne vorhergehende Provokationen statt. Sie waren nicht die erste Runde des europäischen Kolonialismus. Sie wurden nicht wegen Land, Beute oder aus Bekehrungsabsichten geführt. Die Kreuzritter waren keine Barbaren, die die kultivierten Muslime schlecht behandelten.

Stark belegt seine Thesen nicht mit bisher unbekannten historischen Dokumenten, sondern er interpretiert die bereits vorliegenden neu. So deutet er das Massaker der Kreuzritter an der Bevölkerung Jerusalems 1099 als Folge des damals geltenden Kriegsrechts. Es war üblich, „dass die Bevölkerung einer belagerten Stadt, wenn sie sich nicht ergab und die Angreifer zwang, die Stadt zu stürmen (was diese unweigerlich hohe Verluste kostete), mit einem Blutbad rechnen musste“.

Zudem gingen muslimische Heere bei der Eroberung von Syrien, Persien, Ägypten und Spanien im 7. Jahrhundert selbst wenig zimperlich vor. So kam es zu etlichen Massakern. „Das heißt nicht, dass die Muslime brutaler oder weniger tolerant waren als Christen oder Juden; es war eine insgesamt brutale und intolerante Zeit. Es zeigt aber, dass Versuche, die Muslime als aufgeklärte Anhänger eines Multikulturalismus darzustellen, bestenfalls ignorant sind.“

Ähnlich wendet sich Stark auch gegen die These, dass der mittelalterliche Islam dem Christentum gegenüber wissenschaftlich überlegen gewesen sei. Vielmehr seien die tatsächlichen Träger der damaligen ‘islamischen‘ Wissenschaft oft Juden und v.a. nestorianische Christen gewesen.

Während die zeitgenössischen muslimischen Chroniken sich wenig für die Kreuzzüge interessierten, setzte im 19. Jahrhundert ein größeres Interesse ein. Als Reaktion auf den britischen und französischen Imperialismus „bekam das Bild des brutalen, kolonialistischen Kreuzritters eine polemische Macht“, gegen das sich nationalistische Muslime wandten.   mehr Informationen

Die Geschichte von Jerusalem illustriert das:

Im Zuge der islamischen Eroberung kam Jerusalem 637 n. Chr. unter muslimische Herrschaft. Während der Umayyaden-Dynastie (661–750 n. Chr.), die von Damaskus aus regierte, entstand der Felsendom (687–691 n. Chr.) und die Al-Aqsa-Moschee (707 n. Chr.) als alternative muslimische Kultstätte, da die Wallfahrt nach Mekka während des islamischen Bruderkrieges zu dieser Zeit unmöglich war. 750 n. Chr. lösten die persisch-iranischen Abbasiden aus Bagdad die Umayyaden-Dynastie ab.

Im Jahre 979 eroberten die schiitischen Fatimiden aus Nordafrika Jerusalem in einem blutigen Feldzug von den Abbasiden. Bei diesem Blutbad, das nicht nur unter den verfeindeten Muslimen stattfand, sondern auch die christlich-jüdische Zivilbevölkerung einschloss, wurde die Grabeskirche in Brand gesteckt und beschädigt. Zahlreiche Synagogen und Kirchen fielen ebenfalls der Auseinandersetzung zum Opfer.

Im Jahr 1009 wurde die Grabeskirche auf Befehl des schiitischen Fatimiden-Kalifen al-Hakim zerstört. Dabei wurde das zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend intakte Felsengrab abgebrochen. Mit dem Pogrom gegen Juden und Christen begann eine fünf Jahre andauernde Verfolgung der „Ungläubigen“.

19 Jahre später erlaubte der Nachfolger von Al-Hakim, Kalif Al-Zahir (1021–1036), den Wiederaufbau der Grabeskirche und lockerte die Auflagen für die „Ungläubigen“, nachdem der byzantinische Kaiser Romanos III. dem Bau einer Moschee in Konstantinopel (Byzanz) zugestimmt hatte.

1078 wurde Jerusalem erneut blutig eingenommen. Die sunnitischen Seldschuken (türkische Fürstendynastie aus der Gegend des heutigen Teheran) eroberten Jerusalem von den Fatimiden und richteten erneut ein entsetzliches Blutbad an, auch unter den christlichen und jüdischen Bewohnern. Die Seldschuken verboten danach jede Reparatur an Synagogen und Kirchen und erschwerten den Zugang zu den heiligen Stätten erheblich. Pilgerfahrten ins Heilige Land wurden aufgrund der andauernden Kriege zwischen Seldschuken und Byzanz fast unmöglich.

Im August 1098 stießen die schiitischen Fatimiden erneut gegen Jerusalem vor und warfen die verfeindeten sunnitischen Seldschuken bis nach Syrien zurück. In extrem blutigen Kämpfen eroberten sie Jerusalem. Die Berichte über die vielen Toten in Jerusalem sowie die Hilferufe des byzantinischen Kaisers, der sich als Schutzpatron der Heiligen Stätten verstand, erreichten auch Europa, was den Anstoß zum Ersten Kreuzzug gab. Nur wenige Monate nachdem die muslimischen Fatimiden Jerusalem erobert hatten, nahmen die Kreuzritter unter Gottfried von Bouillon 1099 Jerusalem ein und töteten in drei Tagen bis zu 20 000 Bewohner.  mehr Informationen

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