Beziehungskiller

Der ältere Sohn antwortete seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir, und niemals habe ich ein Gebot von dir übertreten; und mir hast du niemals ein Böcklein gegeben, damit ich mit meinen Freunden hätte feiern können. Jetzt wo dein Sohn zurückgekehrt ist, der alles bei den Huren verschwendet hat, feierst du gleich ein Fest und lässt sogar das Mastkalb schlachten (Lukas 15,29-30).

In der Begebenheit vom barmherzigen Vater und seinem älteren Sohn entdecken wir einige wichtige Beziehungskiller.

Selbstbezogenheit
Der ältere Sohn sagt: „Siehe, so viele Jahre diene ICH dir“ (Lukas 15,29). Soeben ist sein totgeglaubter Bruder nach Hause zurückgekehrt. Trotzdem sieht der ältere Sohn nur sich selbst. Er ist total selbstbezogen. Er sieht nur sich und das, was er tut. Kennen wir das?

Dazu fand ich in der Zeitung eine passende Karikatur. Da hieß es: „Nie schreibt mir jemand einen Brief!“ „Ja.“ „Ja! Wenn die Rechnungen nicht wären, dann könnte ich auf meinen Briefkasten glatt verzichten.“ „Und du? Schreibst du Briefe?“ Die erste Person schaut den Fragenden verdutzt an und sagt: „Sag mal, versuchst du das Thema zu wechseln, oder was?“

Der ältere Sohn ist auch nur mit sich selbst beschäftigt. Er hat so viel geleistet und niemand hat es bemerkt. Machen wir nicht auch viele Dinge und hoffen, dass es jemand bemerkt und uns dafür ehrt oder respektiert? Und wenn uns niemand bemerkt, dann bejammern wir unser Elend, bis jemand von uns Notiz nimmt und uns tröstet.

Vergleichen
Der zweite Beziehungskiller ist das Vergleichen. Der Sohn sagt: „Siehe, niemals habe ich ein Gebot von dir übertreten und dein fortgelaufener Sohn hat alle deine Gaben verschleudert.“ Durch das Vergleichen werden wir beziehungsunfähig. Wir sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der wir im täglichen Leben viel vergleichen müssen. Beim Einkaufen vergleichen wir die Produkte, im Berufsleben werden die Arbeiten verglichen. Wir vergleichen unseren Lohn und unsere Wohnungen. Doch Vorsicht, durch das Vergleichen werden wir im Umgang mit anderen Menschen befangen. Es kann uns auf einmal schwer fallen, im anderen eine von Gott geliebte und geschaffene Person zu sehen. Wenn wir uns ständig mit anderen vergleichen, werden wir entweder stolz auf unsere Leistung oder wir werden neidisch, weil wir nicht das Gleiche erreicht haben wie der andere. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass wir schlecht über andere Menschen reden. Im Vergleich zu ihnen stehen wir dann in einem besseren Licht da.

Selbstgerechtigkeit
Der dritte Beziehungskiller ist die Selbstgerechtigkeit. Der ältere Sohn sagt zum himmlischen Vater: „Siehe, so viele Jahre diene ich dir.“ Mir fällt auf, dass der ältere Sohn ihn gar nicht mit „Vater“ anspricht. Wer mit Gott keine bereinigte Beziehung hat, tut sich schwer, in ihm den Vater zu sehen. Man spricht dann viel lieber vom einem undefinierbaren Gott, dem Schicksal oder einem höheren Wesen. „Vater“ können nur die Menschen sagen, die Gottes Kinder sind. Sie sagen: „Lieber Vater, ich liebe dich von ganzem Herzen.“ Der noch nicht erneuerte Mensch sagt: „So viele Jahre diene ich dir.“ Er beruft sich auf alle seine guten Taten. Er sagt: „Ich gehe regelmäßig zur Kirche und bete und bemühe mich, ordentlich zu leben.“ Er vertraut auf sein frommes Leben und seine religiösen Übungen und will sich so den Himmel verdienen.

Genauso wollte es Kain, einer der ersten Menschen der Bibel, tun. Er opferte Gott alle seine Verdienste und Leistungen. Doch Gott nahm sein Opfer nicht an. Gott freute sich über das Opfer seines Bruders Abel, weil dieser in seinem Herzen dachte: „Eigentlich hätte ich den Tod verdient, doch ich will Gott ein Schaf opfern, das an meiner Stelle stirbt.“ Der nicht erneuerte Mensch baut auf das, was er für den Herrn tut, anstatt auf das, was der Herr für ihn tat.

Zur Zeit von Jesus gab es einen Mann, der fromm sein wollte. Er hielt viel von Jesus und verehrte ihn heimlich. Als es schon Nacht war, kam er zu Jesus. Er sagte zu ihm: „Wir wissen, dass du ein Lehrer bist, der von Gott gesandt wurde.“ Jesus sah ihm in die Augen und entgegnete ihm: „Nikodemus, du brauchst keine neuen Lehren. Du musst von neuem geboren werden. Du brauchst eine Wiedergeburt“ (nach Johannes 3). Die Situation von Nikodemus und dem älteren Sohn ist sehr ähnlich. Beide leben in der Gegenwart des himmlischen Vaters. Aber beide haben noch nicht begriffen, dass der Mensch ein neues Herz braucht. Gott will uns verändern. Er will uns in eine neue Beziehung zu ihm und zu unseren Mitmenschen führen.

Von Jesus wird uns berichtet, dass er in diese Welt kam, um uns zu dienen und sein Leben für uns hinzugeben (Mt. 20,28). Wir haben einen Herrn, der seinen Jüngern die Füße gewaschen hat und uns in gleicher Weise von aller Schuld reinigt und neues Leben schenkt. Der nicht wiedergeborene Mensch sagt: „So viele Jahre diene ich dir.“ Der wiedergeborene Mensch sagt: „Von Ewigkeit her dienst DU mir.“

Der natürliche Mensch behauptet: „Siehe, ich habe kein Gebot übertreten. Ich bin schon recht. Mir kann niemand etwas vorwerfen.“ Ganz anders spricht der wiedergeborene Mensch. Er sagt mit dem König David: „Ich habe an dir allein gesündigt“ (Psalm 51,6). Und mit Paulus: „Ich bin der größte Sünder“ (1.Tim. 1,15). Und mit Johannes: „Wenn ich sage, ich habe keine Sünde, so betrüge ich mich selbst“ (1.Joh 1,8).

Pfarrer Wilhelm Busch kam einmal zu einem Mann, der schon achtzig Jahre alt war. Dieser sagte zu ihm: „Mir geht es jetzt nicht mehr so gut. Doch wenn man so alt ist, kann man ruhig sterben.“ Darauf sagte Wilhelm Busch: „Ob man ruhig sterben kann, hängt nicht vom Alter ab, sondern vom Frieden mit Gott.“ „Ach, da steht es gut mit mir“, sagte der Alte. „Ich habe nie gestohlen, ich habe sein Gebot nie übertreten, ich habe meine Pflicht getan.“ Darauf entgegnete Wilhelm Busch: „Da sind Sie gut dran. Ich bin nur halb so alt wie Sie, aber mir hält mein Gewissen so viel vor, das nicht recht ist. Deshalb bin ich froh, dass ich Jesus habe, der mir alles vergibt.“ „Ja“, meinte der Mann auf einmal nachdenklich. „Wenn ich es jetzt recht bedenke, dann ist bei mir auch nicht alles gewesen, wie es sein sollte.“ Und auf einmal begriff er, was es heißt, die ungeklärten Sachen vor Gott verantworten zu müssen.

Ja, der nicht wiedergeborene Mensch sagt: „Ich habe dein Gebot nicht übertreten, ich bin schon recht.“ Der wiedergeborene Mensch sagt: „Ich bin ein Sünder, aber du hast mich begnadigt.“

Undank
Der vierte Beziehungskiller ist die Undankbarkeit. Der ältere Sohn hat alles, aber er ist nicht zufrieden. Er ist nicht dankbar für das, was er hat. Stattdessen sieht er nur das, was er nicht hat. Paulus sieht im Undank die Wurzel unseres Misstrauens gegenüber Gott. Er schreibt im Römerbrief: „Denn obwohl sie von Gott wussten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert“ (Römer 1,21). Wer Gott nicht danken kann, hat noch nicht verstanden, wie viel wir ihm zu verdanken haben.

Obwohl er alles zum Leben hat, findet der Sohn keine dankbaren, sondern nur vorwurfsvolle Worte. „Du hast mir nie ein Böcklein gegeben.“ Er kommt nicht auf die Idee, dass er seinem Vater dankbar sein könnte. Er meint, er verdanke alles sich selbst. Überhaupt hätte eher er eine Belohnung verdient. So redet der natürliche Mensch mit Gott. Dass ich gesund bin, habe ich meiner Natur und mir selbst zu verdanken. Dass ich zu Essen habe, ist meiner Hände Werk. Und geht es mir dann einmal schlecht, ist der Mensch erstaunt, dass Gott das zulassen kann. Der selbstbezogene Mensch findet nichts, wofür er Gott danken könnte.

Wie anders ist der wiedergeborene Mensch! Er kommt aus dem Danken nicht mehr heraus. Er weiß, dass er Leben, Gesundheit, Nahrung und Arbeitsstelle dem himmlischen Vater zu verdanken hat. Er dankt für den Sonnenschein und für den Regen. Und er dankt auch für die Leidenszeiten, in denen er total abhängig ist von Gott. Er weiß, dass es Gott zusteht, ihm mit Jesus ALLES zu schenken. Jesus ist seines Lebens Fülle. Und er ist ihm dankbar dafür.

Der nicht wiedergeborene Mensch sagt: „Du hast mir nie einen Bock gegeben“. Der wiedergeborene Mensch sagt: „Du hast mir in Jesus alles gegeben.“ Was sagt unser Herz?

Text: Hanspeter Obrist

Auszug aus dem Buch

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