Jüdischer Extremismus – Neue Bereitschaft zur Gewalt in Israel

Israels Demokratie lebt von der Fähigkeit, geordnetes Chaos mit Freiräumen zu schaffen, die verschiedenen Ethnien und Religionen eine Koexistenz ermöglichen. Heute wäre Israel kaum eine Hightech-Nation, stellten Erfinder nicht alles infrage. Das Erfolgsrezept heißt Chuzpe (Unverschämtheit).

Premier Netanjahu kann den seit 1967 andauernde Schwebezustand geschickt nützen. Statt langfristigen Visionen bedient er kurzfristige politische Bedürfnisse. In seiner vierten Amtszeit annullierte er die wichtigsten Errungenschaften seiner dritten. Er belohnt militantes Auftreten, verwandelt Gesetze in unverbindliche Empfehlungen.

Der Arabische Frühling zeigt auch, dass nur die Präsenz der israelischen Armee garantieren kann, dass Palästina nicht dasselbe widerfährt wie dem Irak, wie Syrien oder Libyen. mehr Informationen

Dazu kommt die religiöse Vision vom kommenden Königreich, welche Ultraorthodoxe bewegt. Die ständigen Wiedersprüche zwischen einem jüdischen und dem demokratischen Staat, erzeugen eine hochexplosive Umgebung, in der ein kleiner Funken verheerendes Anrichten kann.

Neuerdings wollen Orthodoxe Juden nicht mehr auf Gott warten, sondern aktiv werden. Sie vollziehen im Namen Gottes Selbstjustiz.

In diese Richtung gehen die Anschläge auf die Homosexuellen-Parade in Jerusalem und auf die palästinensische Familie in Duma. Innerhalb von 24 Stunden ist es in Israel zu zwei Gewalttaten gekommen, die die Weltöffentlichkeit beschäftigen. Eine führte zum Tod eines palästinensischen Kleinkinds und dessen Vaters. Auch die andere Bluttat, der Messerangriff auf die Jerusalemer Homsexuellen-Parade, hat nun ein Todesopfer gefordert: Die 16-jährige Sira Banki erlag im Krankenhaus ihren schweren Stichwunden.  Der vorbestrafte ultraorthodoxe Jude Yishai Schissel hatte auf Teilnehmer einer Schwulen- und Lesbenparade in Jerusalem eingestochen und sechs Menschen zum Teil schwer verletzt. mehr Informationen

Am 31. Juli hatten Vermummte im Ort Duma zwischen Nablus und Ramallah Brandflaschen in zwei palästinensische Häuser geworfen. Der 18 Monate alte Ali wurde dabei so schwer verletzt, dass er kurz darauf starb. Der Vater, die Mutter und der vierjährige Bruder des Kleinkindes wurden zur Behandlung in israelische Kliniken gebracht. Der Familienvater verstarb in einem Krankenhaus in der Stadt Beerschewa in Israel. Auch die Mutter und der kleine Ahmed haben schwerste Verletzungen davongetragen: Bis zu 80 Prozent ihrer Haut sind verbrannt. Da am Tatort hebräische Graffiti gefunden wurden, gehen israelische Sicherheitsbehörden von einem terroristischen Hintergrund aus.

Das Sicherheitskabinett beschloss, die sogenannte Administrativhaft auch auf jüdische Verdächtige auszuweiten. Diese Art der Haft kann in Israel ohne Anklage verhängt werden. mehr Informationen

Nach dem Brandanschlag sind in zwei Siedler-Aussenposten neun junge Aktivisten abgeführt worden. Alle festgenommenen israelischen Siedler sind wieder auf freiem Fuss.

Unterdessen wächst der Druck auf Justiz und Sicherheitskräfte, wirksam gegen Aufwiegler vorzugehen, die ideologische Rechtfertigungen für die Gewaltakte der Extremisten liefern. So forderten die Vertreter des Vatikans in Jerusalem jetzt in einem Brief an Generalstaatsanwalt Jehuda Weinstein, gegen den Rechtsextremisten Ben-Zion Gopstein und dessen rassistische Gruppierung Lehava juristisch durchzugreifen.

Gopstein hatte vergangene Woche bei einer Podiumsdiskussion erklärt, die jüdische Lehre verlange die Bekämpfung des Götzendienstes auf dem Boden des Heiligen Landes. Dies schliesse ein, Kirchenbauten in Brand zu setzen.
Diese rechtsextremistische Gruppierung kämpft gegen Eheschliessungen und Geschäftspartnerschaften zwischen Juden und Nichtjuden. Zwei Lehava-Aktivisten wurden kürzlich zu 24 und 30 Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie im vergangenen November eine Jerusalemer Schule in Brand gesetzt hatten, in der zweisprachiger Unterricht auf Hebräisch und Arabisch gegeben wird. mehr Informationen

Der israelische Verteidigungsminister Mosche Jaalon verhängte eine sechsmonatige Verwaltungshaften gegen den meistgesuchten jüdischen Extremisten Meir Ettinger und den jüdischen Ultranationalisten Eviatar Slonim, die beide in der letzten Woche festgenommen worden waren.

Wie aus einem 2013 verfassten Manifest des 24-Jährigen hervorgeht, will Ettinger mittels Gewalt die israelische Regierung und die Institutionen des Staates stürzen sowie mit Selbstmordanschlägen gegen Nichtjuden vorgehen. In der darauf folgenden Anarchie würde eine neue Ordnung geschaffen. Der jetzige Staat verhindert laut Ettinger den Bau eines Tempels. „Das hält uns davon ab, umfassende und wahrhaftige Erlösung zu finden.“
Konkret werfen Sicherheitskräfte Ettinger vor, als Kopf einer Terrorzelle den Brandanschlag auf die Brotvermehrungskirche in Tabgha geplant zu haben. mehr Informationen

In Israel findet statt, was in einem demokratischen Rechtsstaat stattzufinden hat nach Gräueltaten, die Ausfluss sind von Hass und Hetze: Proteste, deutliche Worte, Druck auf die Regierung, Manifestationen von Scham und Selbstkritik.

Der amtierende Staatspräsident Reuven Rivlin sagte in Jerusalem: «Flammen haben unser Land umzingelt, Flammen der Gewalt, des Hasses, eines falschen, verzerrten Glaubens. Flammen, die das Blutvergiessen im Namen der Thora, im Namen des Gesetzes, im Namen der Moral, im Namen der Liebe für das Land Israel erlauben. Bürger Israels, ein jüdisches und demokratisches Israel braucht heute einen Weckruf.» mehr Informationen

Für seine Rede wurde Rivlin heftig kritisiert: In den sozialen Medien tauchte ein manipuliertes Foto auf, das ihn mit der Keffiyeh, der traditionellen Kopfbedeckung der Palästinenser, zeigt. „Du bist nicht mein Präsident“, war darunter zu lesen. Es gab auch Morddrohungen gegen das Staatsoberhaupt.

Auf Kundgebungen in Jerusalem, Tel Aviv und Haifa verurteilten Politiker aus allen Teilen des parteipolitischen Spektrums die Anschläge aufs Schärfste. „Wir sind entschlossen, mit aller Kraft gegen das Phänomen des Hasses, des Fanatismus und des Terrorismus von jeglicher Seite anzukämpfen“, unterstrich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

Bei einer Kundgebung in Tel Aviv sprach Ex-Präsident Simon Peres: „Diejenigen, die gegen israelische Araber hetzen, sollten nicht überrascht sein, wenn Kirchen und Moscheen brennen und wenn letztlich nachts ein Baby verbrennt“, erklärte er.

Noch schärfer formulierte es die Chefin der linken Meretz-Partei, Zahava Galon: „Der Messerangriff auf die Demonstranten und der Brandanschlag von Duma müssen als das bezeichnet werden, was es ist: das ist jüdischer Terrorismus, das ist der jüdische IS.“

Die Regierung betrachte „Preisschild“-Aktionen nun als „Terrorismus“, hieß es in Jerusalem. mehr Informationen

Rabbiner aus allen Richtungen des Judentums missbilligten die Gewaltakte, auch solche, die dem ultraorthodoxen Spektrum zuzuordnen sind. Denn „Du sollst nicht morden“ gilt auch gegenüber Homosexuellen und Arabern. Besonders die rabbinischen Erklärungen sind wichtig, da die Täter in beiden Fällen offenbar aus dem religiösen Teil der israelischen Gesellschaft stammen. mehr Informationen

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