Was treibt Muslime in den Terror?

8.1.21 In Frankreich gibt es darüber seit vielen Jahren eine Debatte. Auf der einen Seite ist Gilles Kepel auf der anderen Olivier Roy.

Der 65-jährige Gilles Kepel ist Arabist und Politikwissenschafter und einer der bekanntesten Islamexperten Europas. Seite Position: Der Terror ist eine Folge der Radikalisierung des Islams.

Der 71-jährige Politikwissenschafter Olivier Roy studierte Iranistik und Philosophie, bevor er sich Fragen des globalen Islam und der Säkularisierung zuwandte. Roy meint: Der Terror ist Ausdruck einer Islamisierung von gewaltbereitem Radikalismus.

Vielleicht ist es nicht ein entweder oder sondern ein sowohl als auch. Gewalt ist eine Folge der Entwicklung unserer Gesellschaft, die immer mehr in ein Schwarz-Weiß-Denken abrutscht. Dabei geht verloren, dass sich ein Mensch auf einem Weg befindet. Toleranz ist nicht die Dominanz einer Meinung, sondern das Aushalten unterschiedlicher Meinungen. Da wo die friedliche Toleranz versagt, eskaliert die Situation. Jesus hat mit der Aufforderung, die Feinde zu lieben, äußerste Toleranz gefordert.

Kepel beobachtet in europäischen Gesellschaften die Entstehung von Enklaven, in denen salafistische Auslegungen des Islam von radikalen Predigern verbreitet werden. Es entstehen Parallelgesellschaften. Darin entwickelt sich ein Klima der Ablehnung und auch der Feindschaft gegenüber der säkularen Gesellschaft. Hier rekrutieren Terrororganisationen junge Muslime.

Eine zentrale Rolle, so Kepel, spielt dabei die salafistische Doktrin. Die Strenge des Salafismus und seine Feindschaft gegenüber anderen Schulen des Islams sowie gegenüber Anders- oder Nichtgläubigen begründen ein Weltbild, das früher oder später in eine religiös motivierte Konfrontation führen muss. Kepel plädiert dafür, die Texte des Salafismus ernst zu nehmen. Sie würden von als Aufforderung zur Gewalt verstanden. Kepels Diagnose ist heute die vorherrschende Sichtweise in der Öffentlichkeit. So spricht Macron vom «islamistischen Separatismus» und Kurz von der Gefahr des «politischen Islams».

Roy dagegen kam über Afghanistan zum Islam. Nicht Gelehrte, die sich über den Koran beugten, waren seine Gesprächspartner, sondern religiös wenig gebildete Jihadisten, die einen brutalen Gebirgskrieg gegen die sowjetischen Besatzer fochten. Roy ist überzeugt: Die Radikalen kommen viel öfter aus der Peripherie als aus dem Herzen der islamischen Gesellschaften. Die im Internet verbreitete religiöse Propaganda ist losgelöst von einem konkreten gesellschaftlichen Zusammenhang, sie existiert ohne Kontext. Die religiöse Wiedererweckung gibt ihnen eine neue Identität. Die neue Religiosität wird provokativ zur Schau gestellt. Entscheidend ist die religiöse Aufladung einer existenziellen Wut.

Die Jihadisten ziehen sich wohl das Mäntelchen des Salafisten an, aber was sie tun, widerspricht ihren Grundsätzen: Dem wahren Salafisten bestimmt Gott allein den Ort und die Zeit seines Todes. Die Jihadisten dagegen, so Roy, nehmen den Tod nicht nur in Kauf, er ist ein zentrales Motiv ihres Handelns.

Nach Roy begünstigt der militante Laizismus der französischen Republik dieses Verhalten, der alles Religiöse in den privaten Bereich und in die Hinterhöfe verbannt. Religion wird zum revolutionären Angebot.

Es gibt auch wichtige Übereinstimmungen zwischen Roy und Kepler. Für beide ist das Gefängnis ein Ort, an dem Radikalität und Religion aufeinandertreffen und der bei jungen Muslimen die Bereitschaft zu religiös aufgeladener Gewalt erzeugt und wachsen lässt.

Auch das Internet und die sozialen Netzwerke betrachten beide als Instrumente der Mobilisierung, der Radikalisierung und der Konversion.

Nur wenn wir einen Weg finden uns gegenseitig zu respektieren, wird man eine Atmosphäre der gegenseitigen Toleranz schaffen. Religiöse Gewalt wird nicht verschwinden, doch die Frage ist, welches Podium wir ihr geben. Wenn Toleranz im Fokus steht, entzieht man der Radikalität den Boden.

Die lateinische Wortbedeutung von „Toleranz“ ist „ertragen, erdulden“. Toleranz ist nicht eine Frage der Wahrheit, sondern der Liebe.

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