Vater für tot erklärt

Jesus gerät in eine Auseinandersetzung mit der geistlichen Elite. Die Schriftgelehrten sind entsetzt, dass er sich mit gottlosen Menschen abgibt. Er muss doch wissen, wie es um diese Menschen steht! Jesus jedoch lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und erzählt ihnen eine Geschichte, um aufzuzeigen, dass sein Handeln dem Wesen Gottes entspricht. So beginnt er: Ein Mensch hatte zwei Söhne; der jüngere von ihnen sprach zu seinem Vater: „Gib mir mein Erbteil, das mir zufällt“. Und der Vater teilte ihnen den Besitz (nach Lukas 15,11-12).

Wie Menschen mit Gott umgehen
Er hat den besten Vater, den es gibt. Er hat die förderlichste Erziehung genossen, die es je geben konnte. Er darf selbstständig handeln und hat seinen Eltern viel Freude bereitet. Klar, ein bisschen eigenwillig ist er schon. Er steht eben immer ein wenig im Schatten seines großen Bruders. Sein Bruder konnte immer alles zuerst. Seiner Meinung nach wird sein Bruder von den Elternbevorzugt. Jetzt will der jüngere Bruder ausbrechen und abhauen. Er will die Traditionen durchbrechen und etwas ganz Verrücktes machen. „Kann es nicht sein, dass ich das Leben verpasse, wenn ich brav zu Hause bleibe?“, schießt es ihm immer wieder durch den Kopf. „Der Vater will mir sicher etwas vorenthalten und mein Leben einschränken.“

Wie die beiden ersten Menschen, Adam und Eva, zweifelt er an der Güte und Liebe seines Vaters. Er fragt sich: „Meint es Gott, mein Vater, wirklich gut mit mir? Sind seine Anweisungen nicht zu eng?“ Er will hinaus in die weite Welt und etwas erleben. „Man kann doch nicht so kleinlich sein“, denkt er. Es gibt doch so vieles, das auch noch Spaß macht. Er will endlich ausbrechen. Und je mehr er sich mit diesen Gedanken auseinandersetzt, desto eingeengter fühlt er sich in der Nähe seines Vaters. Er will endlich auch mal jemand sein. Er hat es satt, im Schatten seines Bruders zu stehen. So kommt ihm die glänzende Idee: „Ich hau ab und nehme mein Erbe jetzt schon mit.“ Deshalb geht er zu seinem Vater und verlangt von ihm einen Erbvorbezug.

So ist der natürliche Mensch. Er geht zu Gott und fordert von ihm Dinge ein. Der Sohn spricht mit seinem Vater, doch was ist das für ein armseliges Gebet: „Gib mir, Vater!“ Das ist ein eiskaltes, berechnendes Gebet. Wie viele beten in dieser Art zu Gott. „Gib mir dies, gib mir jenes!“ So betet der nicht erneuerte Mensch. In Umfragen geben immer wieder viele an, in Notsituationen zu Gott zu beten. „Gott, du musst mir das geben!“ Man erwartet von Gott, dass er uns unsere Wünsche erfüllt. Man behandelt Gott wie einen Kellner. An einem Kellner liegt uns nicht viel. Er soll uns bedienen, doch sein Wesen und seine Wünsche interessieren uns nicht. So machen es viele auch mit Gott. Man will etwas von ihm, aber nicht ihn selbst.

„Gib mir“, sagt der Sohn, ohne seinen Vater zu fragen, was dieser möchte. Da offenbart sich sein Herz. Seine Gedanken drehen sich nur um sich selbst. „Was kümmern mich der Vater und mein Bruder? Ich will meinen Teil. Gib mir, Vater: Leben, Gesundheit, Familie, Geld, Essen, Kleider, Sonne, Regen.“ Und Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte (Mt. 5,45). Gottes Barmherzigkeit gilt allen Menschen. Seine Güte soll uns zur Umkehr motivieren (Römer 2,4). Doch wir? Wir sagen oftmals nicht einmal Danke. Unser Blick geht nicht zu ihm hin, sondern weg von ihm. Und schon wieder beklagen wir uns, dass uns dies und jenes fehlt. So sind wir.

Doch das ist nicht alles. Der Sohn verlangt vom Vater nicht nur einen Kredit, sondern das ganze Erbe. Er sagt damit: „Du bist für mich so gut wie tot. Du hast mir nichts mehr zu sagen.“ Er verlangt das Erbe, das ihm eigentlich erst nach dem Tod seines Vaters zustehen würde, und er bekommt es auch. Wie es damals in Israel üblich war, bekommt er als der jüngere Sohn einen Drittel des Vermögens (5.Mose 21,17). Der ältere Bruder bekommt zwei Drittel. Beide Söhne erhalten ihren Anteil. Doch der ältere Sohn bleibt bei seinem Vater.

Wie hätte Dein Vater reagiert, wenn Du zu ihm gekommen wärst und das Dein Erbe verlangt hättest? Wie würdest Du reagieren, wenn Dein Kind so zu Dir kommen würde?

Gott ist anders
Der Vater lässt seinen Sohn ziehen. Aus der späteren Reaktion und dem Verlauf der Geschichte können wir annehmen, dass er seinen Sohn nicht bedroht oder beschimpft hat. Er hat ihn mit großem Kummer entlassen, ihm aber auch zu verstehen gegeben, dass er wieder nach Hause kommen kann. Er lässt seinem Sohn die Freiheit zu wählen.

So ist Gott. Er lässt uns die Freiheit zu gehen. Niemand muss bei ihm bleiben. So war es auch schon bei den Engeln. Sie konnten sich gegen ihn auflehnen und gehen. Sie mussten nicht bei ihm bleiben. Im Himmel sind nur Freiwillige. Wenn jemand sein ganzes Leben nichts mit Gott zu tun haben wollte, würde er sich in Himmel auch nicht wohlfühlen. Niemandem wird Gottes Gegenwart aufgezwungen.

Ströme der Liebe sendet der Vater hinter seinem Sohn her. Er ist großzügig und ermöglicht so eine Rückkehr. Und er wartet auf seinen Sohn. Von dem Augenblick an, in dem sein Sohn sein Zuhause verlassen hat, beginnt er zu warten, ob der Sohn, den er verloren hat, wieder umkehrt. Gott will die, die sich von ihm abgewandt haben, wieder zu sich ziehen. Er sehnt sich danach, dass sie zu ihm zurückkehren. In der Bibel sehen wir, dass Gott den Menschen nachgeht. Gott hat alles unternommen, dass wir zu ihm zurückkehren können. Und er tut noch viel mehr, denn es heißt: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben (Joh.3,16).

Gott wartet auf uns. Doch er akzeptiert auch unsere Entscheidung. So eine Entscheidung kann Konsequenzen haben. Der Sohn setzte seinen Vater ab und wollte nur noch selbst über sein Leben bestimmen, aber in Wirklichkeit sprach er damit sein eigenes Todesurteil aus. In den Augen seines Vaters ist nun sein Sohn in einem toten Zustand. So sagt er später: Siehe, mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden (Lk. 15,24).

Die Beziehung ist jetzt abgebrochen. Der Vater hat keinen Einfluss mehr auf seinen Sohn. Es gibt eine Geschichte, in der jemand in einer Straßenbahn einmal an die Fensterscheibe geschrieben haben: „Nietzsche sagt: Gott ist tot“. Da stand jemand anderes auf und schrieb daneben: „Gott sagt: Nietzsche ist tot“. In den Augen des Vaters war der Sohn tot und verloren. Aus der Sicht des Sohnes war der Vater tot. Die Beziehung von Vater und Sohn war zerstört. Ohne eine Hinwendung zu Gott sind wir in den Augen des himmlischen Vaters tot. Doch er wartet darauf, dass uns seine Güte zur Umkehr bewegt. Wie denkst Du über Gott?

Text: Hanspeter Obrist

Auszug aus dem Buch

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