„Muslimbruder“ Erdogan geht eigene Wege und bringt damit die Türkei in Schwierigkeiten

In der südtürkischen Provinz Hatay wächst der Widerstand gegen die Syrien-Politik des Premiers Erdogan.

„Unser Blut und unsere Seele geben wir Baschar“, skandieren die rund fünftausend türkischen Demonstranten. An diesem Samstag, der eigentlich Weltfriedenstag ist, sind sie in Antakya auf die Straße gegangen, um ihren Zorn gegen die Syrien-Politik des türkischen Premierministers Erdogan loszuwerden. „Die vielen syrischen Flüchtlinge in unserer Provinz haben mehr Freiheit als wir“, behauptet der Redner auf der Abschlusskundgebung – und fragt mit ausgebreiteten Armen die Menge: „Sollen wir uns das bieten lassen?“ „Nein“, schreien die aufgebrachten Demonstranten. Dabei bearbeiten sie wütend die mitgebrachten Trommeln und halten Hochglanzporträts des syrischen Präsidenten Baschar el Assad hoch, der, so der Redner, „das gute Recht hat, die Einheit Syriens zu verteidigen“.

Das 220 000 Einwohner zählende Antakya war bis zu dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs eine boomende Großstadt. Das Freihandelsabkommen zwischen der Türkei und Syrien brachte der Region einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung. Jetzt, nach der Übernahme der Grenzübergänge durch die „Freie Syrische Armee“, ist der Handel völlig zum Erliegen gekommen. Anstelle der Touristen kämen jetzt Flüchtlinge „in unsere weltoffene, multikulturelle Stadt“, klagt Mithat Kalaycioglu, Chefredakteur der Lokalzeitung Hatay. Hatay – so heißt auch die an Syrien grenzende türkische Provinz, in der nun, so der Journalist, „Islamisten ihr Unwesen treiben“.

Wütend zeigt Kalaycioglu auf eine Gruppe jüngerer Männer mit langen Bärten in der Fußgängerzone von Antakya. „Diese Leute belästigen unsere Frauen, bedrohen sie wegen ihrer elegant geschnittenen Kleider.“ Er steht mit seiner Kritik keineswegs allein da. Viele Einwohner scheinen seine Ansichten zu teilen, was sicher auch mit ihrer Religionszugehörigkeit zu tun hat: In der Provinz Hatay stellen eine halbe Million arabisch sprechende Alawiten die Bevölkerungsmehrheit. Das erklärt die Verbundenheit mit der regierenden alawitischen Minderheit in Syrien aber nur teilweise.

Auch Angehörige anderer Ethnien und Religionsgemeinschaften in Hatay hadern mit der Syrien-Politik von Erdogan. „Dieser Mann hat den heiligsten Grundsatz unseres Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk verraten“, erbost sich Nihat Karaasian. Der Ingenieur aus der Mittelmeerstadt Arsus bezieht sich auf die in der Türkei allgegenwärtige Parole „Yurtta sulh, cihanda sulh“– zu Deutsch: Frieden zu Hause, Frieden in der Welt. An diesen Grundsatz habe sich nach dem Zusammenbruch des osmanischen Reiches bislang jede türkische Regierung gehalten. „Nur der Muslimbruder Erdogan“ gehe eigene Wege und bringe damit das Land in extreme Schwierigkeiten, kritisiert Karaasian.

„Wir wollen weder Streit noch Krieg, sondern weiterhin in Frieden miteinander leben“, betont der Student Suleiman. Sein Tischnachbar, ein Rechtsanwalt aus der Grenzstadt Reyhanli, nickt zustimmend, um anschließend ein gefährliches Spiel der Amerikaner anzuprangern. Sollten „die Imperialisten“ in Syrien intervenieren, werde es auch in der Südtürkei nicht ruhig bleiben.

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