Kommt es in Israel zum Religionskrieg?

Der jahrelange Streit um die Wehrpflicht für Ultra-Orthodoxe geht weiter. Er hat eine neue Wendung genommen. Fromme befürchten nun einen Identitätsverlust.

Am Dienstag 12.09.2017 hat der Oberste Gerichtshof die bisher gültige Ausnahmeregelung für Orthodoxe für «verfassungswidrig» und «diskriminierend» erklärt. Er kippte ein Gesetz aus dem November 2015, mit dem diese Ausnahmeregeln wieder eingeführt worden waren. Die Richter legten jedoch eine einjährige Übergangsfrist fest, in der nun erneut nach einem Kompromiss gesucht werden kann.

Die aktuelle Regierungsmehrheit ist dafür, den Ultraorthodoxen den Wehrdienst zu ersparen. Die Ausnahmeregelung wurde im November 2015 für mindestens sechs Jahre beschlossen. Den strenggläubigen Juden wurde bei der Staatsgründung 1948 zugesichert, dass junge Männer, die zwischen dem 18. und 26. Lebensjahr ganztägig Talmudschulen besuchen, keinen Wehrdienst leisten müssen. Betraf diese Regelung ursprünglich nur einige hundert Männer, sind mittlerweile zehntausende Ultraorthodoxe von der Wehrpflicht befreit.

Die Richter entschieden, die Ausnahmeregelung für die Orthodoxen verletze den Gleichheitsgrundsatz. Der Militärdienst für Männer dauert derzeit zwei Jahre und acht Monate, der Militärdienst für Frauen zwei Jahre. Innenminister Arie Deri von der religiösen Schas-Partei sagte, der Oberste Gerichtshof sei „vollkommen losgelöst von unseren Traditionen“. Er kündigte an, „mit aller Kraft“ für die Beibehaltung der Ausnahmeregelung zu kämpfen.  mehr Informationen

Der Vorsitzende der Oppositionspartei „Jesch Atid“, Jair Lapid, begrüßte die Entscheidung: „Das Hohe Gericht hat heute erlebt, dass Gerechtigkeit geschah. Werte haben gewonnen, der Geist der israelischen Armee hat gewonnen und unsere Soldaten haben gewonnen.“  mehr Informationen

Der ultraorthodoxe Innenminister Arje Deri, gegen den derzeit eine Korruptionsuntersuchung läuft, sieht sich in seinem Weltbild bestätigt, wonach der Oberste Gerichtshof vom jüdischen Volk «abgekoppelt» sei. Die Richter würden nicht begreifen, dass das Studium der Tora während Jahrhunderten die Juden wie eine Klammer zusammengehalten habe. Zwei orthodoxe Parteien waren vor zwei Jahren der Koalition nur unter der Bedingung beigetreten, dass die Ultraorthodoxen vom Armeedienst befreit werden.

Der Rest der Bevölkerung hält die generelle Dienstbefreiung der Orthodoxen allerdings nicht nur für ein Ärgernis, sondern ebenso für eine stossende Ungerechtigkeit. Lediglich 30 Prozent der Orthodoxen lassen sich (freiwillig) rekrutieren. Demgegenüber leisten 85 Prozent der nicht-orthodoxen israelischen Männer Dienst.

Dabei wäre die Armee eine äusserst wirksame Methode, um die Orthodoxen im Arbeitsmarkt zu integrieren. Ihnen werden während der Schulzeit keine Grundlagen beigebracht, mit denen sie als Erwachsene einen Beruf ausüben können. Statt Englisch, Mathematik oder Biologie lernen sie Religion. Sie werden damit zur Arbeitslosigkeit erzogen und sind im Berufsleben nicht zu gebrauchen. Orthodoxe aber, die in der Armee waren, finden in der Regel den Weg ins Berufsleben. Rund 90 Prozent der ultraorthodoxen Männer werden in der Armee auf einen Job vorbereitet, und 80 Prozent arbeiten später in einer gemischt säkular-orthodoxen Umgebung, zeigt eine Studie des Israel Democracy Institute.

Als Argumente gegen den Armeedienst führen die orthodoxen Gegner vor allem religiöse Gründe an. Die Orthodoxen würden es als ihre Pflicht ansehen, ihr religiöses Wissen und die Überlieferung an die nächste Generation weiterzugeben, sagen sie. Um diesen Wissens- und Traditionstransfer sicherzustellen, sind die Zöglinge von klein auf zum Religionsstudium verpflichtet. Alles andere sei «Zeitverschwendung», das vom Thorastudium abhalten würde. Eine Unterbrechung der Religionsschule, um drei Jahre Dienst zu leisten, kommt für sie deshalb nicht infrage.

Doch die jungen Männer könnten aber auch ihre Identität infrage stellen und sich einem säkularen Lebensstil annähern.

Zudem geben sich die Orthodoxen überzeugt, dass der Kampf für das Land Israel zwei Ebenen hat: eine physische und eine spirituelle. Während Soldaten das Land mit ihrem Körper schützen, würden die Religiösen für Erhalt des spirituellen Charakters des Staates kämpfen.

Die Befreiung der Orthodoxen vom Militärdienst geht auf die Staatsgründung zurück. David Ben-Gurion hatte damals für die rund 400 Orthodoxen eine Ausnahme von der allgemeinen Wehrpflicht gemacht.

Beruhigend ist aus der Sicht des Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu jetzt nur, dass er und die Frömmsten der Frommen bis Herbst 2018 Zeit haben, um einen Kompromiss zwischen dem Urteil der Richter und den Forderungen seiner ultraorthodoxen Partner zu finden. Und 12 Monate gelten in Israel schon fast als eine Ewigkeit.  mehr Informationen  

Ungleichbehandlung von Orthodoxen bringt Regierung in Israel in Schwierigkeiten

Nach Protesten in der Bevölkerung machte Benjamin Netanjahu am Sonntag den Weg frei für die Abschaffung eines umstrittenen Privilegs: Ultra-Orthodoxe sind in Israel bislang von der allgemeinen Wehrpflicht befreit, damit sie sich voll der Religion widmen können. Dies soll sich nun nach Beschluss der Regierung ändern. Grundsätzlich hat der Verteidigungsminister das „Recht“, junge Männer im … weiterlesen

Israel und die Ultraorthodoxen

Sie schotten sich von der israelischen Gesellschaft ab, lehnen den Staat ab und gleichzeitig gewinnen sie immer mehr an Einfluss: Die ultraorthodoxen Juden sorgen in Israel für heftige Diskussionen, denn sie möchten, dass sich die Gesellschaft ihnen anpasst. Siehe Video (nur Juni 2017):  https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/israel-und-die-ultraorthodoxen?id=c324b5db-bedf-447d-b2f3-2b10382d0c54   Siehe auch Video: Siehe auch Artikel: 7,8 Prozent der strengreligiösen … weiterlesen

Siehe auch Artikel:

7,8 Prozent der strengreligiösen Juden verlassen irgendwann ihre Gemeinschaft http://www.obrist-impulse.net/ultra-orthodoxe-juden-israel

Ein-Blick in das Leben von Ultraorthodoxen
http://www.obrist-impulse.net/ein-blick-in-das-leben-von-ultraorthodoxen

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