Gottes Pluralität aus jüdischer Perspektive

Michael Wolffsohn stellt als jüdischer Denker in einem Beitrag vom 12.1.17 im Deutschlandfunk ungewöhnliche Thesen auf.

Klar ist, dass die Trinität – also die Einheit der Dreiheit (Vater, Sohn und Heiliger Geist) – eine christliche Erfindung sei. Dahinter stehe die Idee: „Gott ist in allem, Gott ist alles, er ist Schöpfer der Welt, er ist allgegenwärtig.“

Wenn man mit offenem Herzen und offenem Verstand an die biblischen Texte herangeht, habe man im Judentum im Grunde genommen das gleiche.

Es ist auch interessant, dass das arianische Christentum seiner Zeit vehement gegen die Trinität argumentierte. Für die Trinität wurde bekanntlich 325 nach Christus auf dem Konzil von Nicäa entschieden. Das heißt, Konstantin, der sogenannte Große, entschied sich für die Trinität, also gegen das arianische Christentum. Aber das arianische Christentum bestand im vorderasiatischen Raum weiter.

Es gibt eine interessante interdisziplinäre Forschergruppe namens Inârah, die – wie Wolffsohn findet – empirisch wasserdicht nachweist, dass der frühe Islam bis ungefähr 800 unserer Zeitrechnung ein arianisches Christentum war.

Die Vorstellung von Gott als Vater und wir als Kinder ist eins zu eins im Judentum: Awinu Malkhenu – unser Vater, unser König, das ist Gott. Wir sind als einzelne Menschen Kinder Gottes.

Jesus war also in dem Anspruch, Sohn Gottes zu sein, ein Kind Gottes – ein Kind Gottes wie alle Kinder Gottes, wie alle Menschen Kinder Gottes sind. Insofern ist das jesuanische Verständnis, der jesuanische Anspruch, Sohn Gottes zu sein, durchaus deckungsgleich mit jüdischen Vorstellungen, dass jeder Mensch ein Kind Gottes ist. *1

Und jetzt kommen zum Schwierigsten, zum Heiligen Geist. Sie kennen natürlich Genesis 1, den 2. Satz: „Ruach Elohim merachefet  al pnei hamajim.“ Der „Geist Gottes“ ist die wörtliche Übersetzung. Und Elohim ist eine plurale Form. Was sagt uns das? Dass wir uns Gott als Singular vorstellen müssen und zugleich als Plural. Also haben wir ein identisches Wortbild. Die Aussage dieses Wortbildes Elohim, die Pluralform für Gott, ist im Grunde genommen nichts anderes als diese Vorstellung von der Trinität. In diesem Falle ist der Plural ja nicht gegrenzt auf zwei oder drei, jedenfalls mehr als eins. Und Ruach Elohim – der Geist Gottes. An anderen Stellen heißt es in der hebräischen Bibel ruach ha kodesh, der Heilige Geist. Jetzt frage ich: Wo besteht dann der Unterschied der Vorstellung zwischen dem Heiligen Geist als ruach ha kordesh und dem Heiligen Geist im Christentum? Es gibt ihn nicht.

Einer der zentralen Texte lautet wortwörtlich: „Höre Israel – Adonai ist unser Gott, Adonai ist eins.“  Adonai ist Plural – sonst würde es Adoni heißen.

Zweitens heißt es „Höre Israel“ – das ist ein Imperativ, also die Befehlsform. Wenn eine Befehlsform notwendig wird, dann heißt das doch im Grunde genommen im Klartext: Ganz so sattelfest war auch der Glaube von Juden an die Einheit Gottes nicht. Der Imperativ ist kein Zufall.

Also, erstens plurale Formen des einen Gottes. Der eine Gott ist plural in der Begrifflichkeit, aber er ist als Singular sich vorzustellen. Zweitens klappt es offenbar nicht so mit dem Glauben der Juden an den Monotheismus, daher der Imperativ.

Wir haben darüber hinaus, um die Sache noch komplizierter machen, nicht nur die Pluralform des männlichen Gottes in hebräischen, biblischen Urtexten, sondern wir haben auch die Schechina, die auch übersetzt wird mit die Gegenwart Gottes. Schechina ist ein weiblicher Singular.

Der Grundgedanke ist: Gott ist vieles und zugleich einer.  *2

Gott ist einer, aber dieser eine Gott ist alles.

Jeder muss die religiösen Wurzeln kennen.

Denn es heißt es immer – ganz aktuell bei Sigmar Gabriel – wir müssen uns kulturell mit dem Islam beschäftigen und auseinandersetzen. Der Mann hat völlig recht. Aber die deutsche Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit hat vom Christentum nicht einmal eine Ahnung. Wie soll sie dann mit Muslimen argumentieren können oder mit Juden?    mehr Informationen  

  1.  Die Juden zur Zeit von Jesus, interpretierten den Anspruch von Jesus als eine Gleichsetzung mit Gott: Johannes 5,18 „Darum nun suchten die Juden noch mehr, ihn zu töten, weil er nicht allein den Sabbat aufhob, sondern auch Gott seinen eigenen Vater nannte und sich so selbst Gott gleich machte.“  Zusätzlich vergab Jesus Sünden: Markus 2,7 „Er lästert. Wer kann Sünden vergeben außer einem, Gott?“ Jesus sagte auch: Johannes 10,30: „Ich und der Vater sind eins.“ Johannes 14,9 „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“

2.  Gott erschien in der jüdischen Bibel im Dornbusch (2.Mose 3,2); In der Wolke (2.Mose 34,5); In der Feuer – und Wolkensäule (2.Mose 13,21-22); Im sanften Windhauch (1. Könige 18,12); Gott erschien Abraham als Mensch (1.Mose 18,2) und er schickte Engel (1.Mose 22,15) und sprach direkt zu den Menschen (5. Mose 5,23-27).

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