Es ist verboten zu verbieten

„Sexuelle Freiheit aufgedeckt“ lautet der Titel eines bemerkenswerten französischen Buches, das am 23. August 2017 im Springer-Verlag in deutscher Übersetzung erscheint.

Die belgische Sexualtherapeutin Thérèse Hargot deckt darin auf, wohin die in den 60er Jahren initiierte sexuelle „Befreiung“ unsere Gesellschaft geführt hat: Wir haben uns aller Verbote und Autoritäten entledigt, sind „aber in einem sehr unreifen Verhältnis zur Sexualität stehen geblieben“.

„Junge Leute empfinden es immer weniger als sinnstiftend, in einem Frauen- oder Männerkörper geboren zu sein“, lautet Hargots alarmierender Befund. Das Buch hat bereits in Frankreich und auch in der französischsprachigen Schweiz für Aufsehen gesorgt.

Der Druck der neuen Freiheit ist laut Hargot enorm. So seien wir keine Generation „Peace“ und „Love“, wovon die 1968er-Bewegung geträumt hätte, sondern eine von Verängstigten“.

Die gegenwärtige Omnipräsenz der Pornografie zeigt für Hargot, dass der Umgang Heranwachsender mit der Sexualität oft kein Beweis ihrer Freiheit, sondern das „Ergebnis einer Konditionierung“ ist. „Dem Geist werden Bilder aufgedrängt, nach denen er kein Verlangen geäussert hat. Dies ist eine Art Vergewaltigung der Vorstellungskraft“.

Im Gefühl des Verliebtseins muss das Glück, die Erfüllung liegen. Daraus folgen die häufig stark übersteigerten Erwartungen an den Partner. Wer zu früh eine Beziehung eingeht, behindert laut Hargot sein Wachstum zur reifen Persönlichkeit.

„Wenn man frei ist, muss man wählen“, so die medial weit verbreitete Botschaft. Doch die Person lässt sich weder auf ihre Gefühle, noch auf ihre sexuellen Anziehungen oder Beziehungen reduzieren. Hinter dieser „Obsession der sexuellen Orientierung“ sieht Hargot ein philosophisches Menschenbild am Werk, das nicht zwischen der Person und ihrem Verhalten (oder „ihrem Tun“) unterscheidet.

Sexuell übertragbare Infektionen aller Art nehmen wieder zu. Die überall gegenwärtige Präventions-Botschaft, immer ein Kondom bei sich zu haben, zeigt nicht die gewünschte Wirkung. Laut Hargot ist diese Botschaft zum Scheitern verurteilt. Die Logik, sich vor dem Partner als potentielle Gefahr zu schützen, ist der Logik der Liebe diametral entgegengesetzt. So aber geht „der sexuelle Liberalismus Hand in Hand mit einer Erziehung zur Angst und einer Angstkultur, die aus der Sexualität ein Spiel des Zufalls macht.“

Hargot, selbst ein Kind der sexuellen Revolution, muss feststellen: „Die Kultur, in der wir aufgewachsen sind, entsprach nicht unserer tiefsten Sehnsucht: voll und ganz zu lieben und geliebt zu werden.“ Hingegen zwingt uns das Drama der sexuell übertragbaren Krankheiten immerhin dazu, uns tiefgehende Fragen über den Sinn unseres Körpers zu stellen. Darin sieht Hargot auch eine Chance.

„Damals gewöhnten sich unsere Eltern an die Möglichkeit, Sexualität und Fortpflanzung zu trennen. Heute werden Gefühle und Sexualität voneinander geschieden. Doch: können sich Menschen überhaupt „lediglich zum Sex“ verabreden?

Weil Affekte und Gefühle aus realen Beziehungen nicht ausgeblendet werden können, birgt das Prinzip der freien Zustimmung auch viel Potential für Missbrauch und traumatische Erfahrungen.

Viele weitere Kehrseiten der sexuellen „Befreiung“ deckt Hargot auf. Hargots Buch richtet sich explizit auch an Eltern. Viele Eltern projizieren sich und ihr sexuelles Erleben auf ihre Kinder und belasten sie damit schwer.

Erlebtes Vertrauen ist auch das, was das Kind braucht, um seine Identität als Mann oder Frau zu entwickeln. Das erste Bedürfnis jedes Kindes besteht darin, zu spüren, dass es geliebt ist, dass es eine Existenzberechtigung und eine Würde als Person besitzt. Das Reden über explizit sexuelle Themen ist in dieser Hinsicht zweitrangig.

Hören wir endlich auf, Kinder und Jugendliche mit sexuellen Themen zu belästigen, lautet Hargots Appell. Helfen wir ihnen vielmehr, zu reifen Persönlichkeiten zu werden, die wirklich frei sind.    mehr Informationen

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