Die vergessenen Israelis

Auf den ersten Blick erinnert in der Umgebung von Sderot nichts mehr an den Krieg, der hier vor einem Jahr tobte: Bauern arbeiten auf grünen Feldern, Traktoren pflügen den gedüngten Boden und Studenten ströhmen in das Sapir College, die Hochschule vor den Toren der Stadt.

Doch die Bevölkerung sagt, der Krieg von 2014 habe alles verändert. „Ich habe Angst vor den banalsten Dingen: alleine zu sein, ins Bad zu gehen, den Müll hinauszubringen. Ich traue mich nicht einmal mehr joggen zu gehen,“ sagt die 29-jährige Yam Braude-Amitai, die im Kibbutz Erez lebt. „Wenn ich nachts aufstehe, um mein Kind zu stillen, höre ich Geräusche, und ich weiß nicht mal, ob ich sie mir einbilde“, erzählt sie. „Früher habe ich meine Großmutter belächelt, weil sie uns seit zehn Jahren erzählte, sie höre Geräusche aus dem Boden. Jetzt belächle ich sie nicht mehr.“

Auf israelischer Seite sind während der 50 Tage Krieg 67 Soldaten und fünf Zivilisten getötet worden. Weitere 1600 Soldaten und 837 Zivilisten wurden verletzt. Für die Palästinenser war es die verlustreichste Außeinandersetzung im Gazastreifen, seit er 1949 eingerichtet wurde: 2100 Menschen wurden getötet.

„Tropfen“ nennen die Israelis die sporadischen, aber kontinuierlichen Raketenangriffe aus Gaza. Sie sind so alltäglich geworden, dass weder israelische noch internationale Medien noch darüber berichten. Viele Israelis sind sogar der Meinung, wer sich in der Nähe des Gazastreifens ansiedelt, könne nur auf der Suche nach Ärger und Sorgen sein.

Die 28-jährige Adi Batan-Meiri, die in Sderot ihren zwei-jährigen Sohn groß zieht, sieht das ganz anders: „Es ist vollkommen egal, wo du lebst“, sagt sie. „Noch vor einigen Jahren war es unvorstellbar, dass Raketen auf Be’er Scheva niedergehen könnten. Was heute noch absurd klingt, wird im nächsten Krieg Realität.“ Ende 2008 wurde die 200.000-Einwohner-Stadt, knapp 50 Kilometer östlich von Gaza-Stadt, erstmals von Raketen der Hamas getroffen. Während des Krieges im Sommer 2015 hat die radikale Palästinenserpartei auch Tel Aviv gezielt. „Es ist sinnlos von der Frontlinie wegzulaufen„, sagt Batan-Meiri, „denn die Front verfolgt dich.“ Die einzige Möglichkeit sieht sie auf politischer Ebene: „Um dem Feuer wirklich zu entkommen, muss man es unterbinden – und das erfordert eine mutige Politik.“

44 Prozent der Einwohner von Sderot leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) – fünf mal so viele wie in der Gesamtbevölkerung. mehr Informationen

Die im Gazastreifen herrschende Hamas will nach den Worten eines ranghohen Führers keinen neuen Krieg mit Israel. «Wir haben ein Interesse daran, für Ruhe zu sorgen», sagte Ghasi Hamad dem israelischen Rundfunk. Hamad sprach während des ungewöhnlichen Interviews auf Hebräisch. Die Sprache hatte er während eines mehrjährigen Haftaufenthalts in Israel gelernt. Die Lage im Gazastreifen sei ein Jahr nach dem letzten Krieg «sehr schlecht», sagte Hamad. Hamas wolle keinen neuen bewaffneten Konflikt mit Israel, könne jedoch die Besatzung nicht akzeptieren. mehr Informationen

Täglich passieren rund 600 Lastwagen den Übergang Kerem Shalom von Israel nach Gaza, beladen mit Hilfsgütern und Baumaterialien. Die israelische NGO Gisha hat errechnet, dass zwischen dem Kriegsende im August 2014 und Februar 2015 insgesamt 462.926 Tonnen Baumaterialien in den Gazastreifen gelangten.

Zwar haben westliche und arabische Staaten bei einer Geberkonferenz in Kairo im Oktober 2014 rund 5,4 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau zugesagt. Davon angekommen ist bis heute aber nur ein Bruchteil. Rund 120.000 Menschen in Gaza haben kein richtiges Dach mehr über dem Kopf.

Yahia Mousa al Abadsa, einer der politischen Führer der Hamas, meint: „Klar rüsten wir uns für die nächste Runde. Wie andere Länder eben auch.“

Die Einschusslöcher an der Wand, die Rajaa jeden Morgen nach dem Aufwachen vor sich sieht, halten die Erinnerung wach. „Die Angst ist immer noch da. Wir sind nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt. Es gibt Momente, da denken wir nicht mehr dran.“ Doch dann, nur ein lautes Geräusch, und wir schrecken sofort wieder auf.“ Noch mal wollen sie das nicht mitmachen, sagt Hamdia. Hilfe von der Hamas? Die Frauen schütteln den Kopf. Viele Menschen in Gaza sind enttäuscht. mehr Informationen

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