Der rettende Gedanke

Was kann ein Spiegel, was einem Menschen kaum gelingt? Er hält uns immer die Realität vor Augen. Er zeigt mir, wie ich bin, ohne etwas zu verschönern und ohne etwas mit Glanz zu überziehen. Die Geschichte vom barmherzigen Vater und seinen beiden Söhnen in der Bibel ist wie ein Spiegel.

Nachdenken und sich selbst entdecken
Vom verlorenen Sohn heißt es: Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die genügend Brot haben und ich verderbe hier vor Hunger (Lk. 15,17). Wir brauchen in unserem Leben Momente des Nachdenkens. Wo stehe ich? Was mache ich mit meinem Leben? Wo bin ich gelandet? Dem verlorenen Sohn ergeht es wie der Kartoffel: Wenn sie im Dreck steckt, dann gehen ihr die Augen auf. „Ja, bei meinem Vater hatte ich es viel besser als jetzt. Ich habe mich verblenden lassen und bin ins Nichts hinausgelaufen.“

Genauso ergeht es auch uns, wenn wir Leben an einem anderen Ort suchen als bei dem, der es erfunden hat. Wir sausen von einem Anlass zu anderen oder zappen uns durch die Medien, doch was bleibt, ist ein wirrer und müder Kopf. Wir lieben die Zerstreuung und sind auf der Flucht vor uns selber, weil wir mit uns selbst so viele Schwierigkeiten haben. Wir sehnen uns nach Liebe, Wertschätzung und Anerkennung und suchen sie überall, nur nicht bei unserem himmlischen Vater. Gleichen wir manchmal nicht diesem Sohn? Sein Lebensglück war abhängig von seinen Freunden. Er spielte ihnen und sich selbst etwas vor. Und am Schluss landete er im Dreck. Er hatte nicht nur Dreck am Stecken, sondern auch an seinen Schuhen und an seinen Kleidern. Wer sich von Gott und seinen Prinzipien wegtreiben lässt, gerät schnell in unsaubere Geschäfte und Beziehungen. Gibt es in unserem Leben auch Dinge, die auf keinen Fall bekannt werden sollten?

Woran liegt es, dass wir immer wieder solche Dinge tun, die uns keinen bleibenden Wert bringen, sondern in peinliche Situationen führen? Der verlorene Sohn weiß die Antwort: „Weil ich so weit weg bin von meinem himmlischen Vater.“ Er sagt: „Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die genug zu essen haben und ICH VERDERBE HIER VOR HUNGER.“

Haben auch wir dieses Heimweh nach dem himmlischen Vater? Im Psalm 42,2 steht: „Wie ein Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele Gott zu Dir.“ Sehnen wir uns so nach Gott?

Der verlorene Sohn kommt nun zu sich selbst. Er geht in sich (Lk. 15,17). Er merkt: „Das Problem bin ich selber, nicht der Vater, nicht die Welt, nicht der Bauer. Ich selber suche das Leben, wo es nicht zu finden ist. Ich bin mein eigener Feind. Solange ich an mir selbst Gefallen habe, mich selbst rechtfertige, streichle oder bemitleide, ist mir nicht zu helfen.“ Wenn Du Augen hast, dann mache sie auf und erkenne, wie es um Dich selber steht. Wann kommen wir endlich zu uns selbst und sehen die Realität unseres Lebens? Wie schnell kommen wir auf Abwege. Die Frage ist, wie wir reagieren, wenn uns bewusst wird, dass wir nicht mehr in der richtigen Richtung unterwegs sind.

Der Sohn geht in sich und sucht nicht bei den anderen die Schuld, sondern bei sich. Er klagt nicht seine Freunde, nicht seinen Vater, nicht den harten Schweinebesitzer an, sondern sich selbst. Wir gehen allgemein sehr sanft mit uns um. Wir bemitleiden und entschuldigen uns. Das tut der verlorene Sohn nicht. Er kommt zur Erkenntnis: „Ich will mich aufmachen“ (Lk. 15,18a).

Der Entschluss
Auf die Selbsterkenntnis folgt ein Entschluss, zu handeln. Wenn der verlorene Sohn bei sich stehen bleiben würde, dann käme er nie von seinen Schweinen weg. Dann würde er weiterhin im Dreck sitzen und sich bemitleiden. Doch es kommt ihm der rettende Gedanke: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen.“ Er dreht sich nicht nur um sich selbst, sondern erinnert sich an seinen Vater und tut sofort den ersten Schritt.

Jesus erzählt das so: Der jüngere Sohn dachte über seine Situation nach und sprach: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Überfluss an Brot, ich aber komme hier um vor Hunger. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen, mach mich wie einen deiner Tagelöhner. Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater (Lk. 15,17-20).

Wie viele sind schon durch das Wort Gottes aufgeweckt und aufgerüttelt worden. Doch dann sind sie bei sich stehen geblieben, anstatt sich zu Jesus aufzumachen. Der Sohn ist weit weg von seinem Vater. Er muss sich aufmachen und zu ihm umkehren. Schritt für Schritt muss er zu ihm zurückgehen. Man ist nicht automatisch wieder beim Vater angekommen, sobald man merkt, dass man sich von ihm entfernt hat. Genauso, wie es ein Weg ist, sich von Gott zu entfernen, so gibt es auch einen Weg zurück. Nicht immer fällt es uns leicht, umzukehren. Viele Gedanken gehen uns dabei durch den Kopf. Doch es lohnt sich, den Weg der Versöhnung zu gehen, und uns in die Arme des himmlischen Vaters zu werfen.

Das Bekenntnis
Der Sohn will zu seinem Vater gehen und sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner (Lk. 15,18b-19).

„Vater, ich habe gesündigt.“ Damit meint er: „Vater, ich habe meine Bestimmung verfehlt. Ich liege total daneben.“ Das ist eines der schwersten Bekenntnisse, das ein Mensch über die Lippen bringen kann. Ihr müsst darauf achten, dass der verlorene Sohn nicht sagt: „Ich habe einen Fehler gemacht. Es tut mir leid.“ Zu diesem Geständnis wären wir in der Not noch bereit. Nein, es geht um das harte, verhasste Wort SÜNDE. Das Wort Sünde kommt von der Schützensprache und meint: Zielverfehlung. „Ich habe gesündigt.“ „Ich bin verantwortlich, dass ich daneben gelandet bin.“ Er sagt nicht: „Ich habe mich wohl geirrt oder die Menschen und die Umstände waren Schuld an allem.“ Solche Bekenntnisse sind wertlos. Er sagt auch nicht: „Wir sind eben alle Sünder.“ Nein, er redet jetzt von sich: „ICH habe gesündigt.“

Zu einer alten Frau kam ein Pfarrer und las ihr aus dem Römerbrief vor. Da kam die Stelle: „Wir sind alle Sünder.“ Da nickte die Frau. Der Pfarrer schaute auf und fragte: „Ist das wahr?“ – „Ja, das ist wahr.“ – „Dann bekennen Sie doch ihre Sünde.“ Da fuhr die Frau auf: „Wer hat Ihnen so etwas von mir erzählt? Ich bin doch eine ehrbare Frau. Ich habe nichts Schlechtes getan!“

So ist’s. Wir lassen es gelten, wenn es heißt: „Wir alle sind Sünder.“ Aber wenn es darum geht, uns selbst als Sünder zu bezeichnen, wehrt sich alles in uns dagegen. Der verlorene Sohn sagt: „ICH habe gesündigt.“ Wir werden keine Ruhe finden, bis dieses Bekenntnis gesagt ist. „Ich habe gesündigt“ ist ein Erschrecken und eine Abscheu von einem Leben ohne Gott. Da beschönigen wir nichts mehr, sondern bekennen unsere Verderbtheit. „Ja, ich bin selbst von meinem himmlischen Vater davongelaufen. Ich bin selbst für mein Elend verantwortlich. Da gibt es nichts mehr zu verdecken, sondern nur noch aufzudecken.“

Eine neue Stellung
Der Sohn sieht ein: Ich bin nicht mehr wert dein Sohn zu heißen (Lk. 15,19).
Die Wahrheit ist immer besser als die Einbildung, auch wenn sie demütigt. „Ich bin es nicht mehr wert, dass ich als dein Sohn bezeichnet werde.“ Die letzte Einbildung auf sich selbst ist gefallen. Ach, wie oft bilden wir uns ein, dass wir im Grunde gut sind. Doch wir erleben immer wieder Enttäuschungen. Jede Enttäuschung zeigt uns das Ende der Täuschung auf. Logisch wäre jetzt, wenn der Sohn sagen würde: „Weil es so schlecht um mich steht, will ich meinen Vater meiden und weit weg gehen.“ Doch gerade das tut er nicht. Er will zurück zum Vater, weil er weiß, dass es der Geringste bei seinem Vater besser hat als er. Er hat das Verlangen, wie es im Psalm 84, Vers 11 beschrieben ist: „Ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Hause, als wohnen in der Gottlosen Hütte.“

Der Sohn sagt von sich: „Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen. Mache mich zu einem deiner Tagelöhner“ (Lk. 15,19). Hier passiert ein Wechsel in seinem Leben. Der Sohn erkennt: „Wenn ich selber über mein Leben bestimme, dann geht es mit mir bergab. Ich will mich daher ganz unter den guten Willen meines Vaters stellen. Er soll täglich das Sagen haben in meinem Leben, weil er am besten weiß, was gut für mich ist.“

Der Aufbruch
Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater (Lk. 15,20a).
Alle Andacht bei den Schweinen nützt nichts. Ohne eine Abkehr vom alten Leben und eine Umkehr zum Vater bleibt alles nur ein schönes Gedankengebilde. Er hat sein Anrecht, Sohn zu sein, zwar verspielt, denn der Vater hat ihn reich beschenkt und er ist ihm gegenüber undankbar gewesen. Doch er macht sich auf und kehrt zu seinem Vater zurück.

Ist das irgendwie nicht auch unsere Lebensgeschichte? Gott hat uns reich beschenkt. Er gab uns Gesundheit und Leben, Essen und Trinken, Eltern, Freunde und tausend kleine Freundlichkeiten. Doch haben wir ihm dafür gedankt? Haben wir nicht seine Liebe und Güte als selbstverständlich genommen und ihm sogar noch Vorwürfe gemacht, wenn nicht alles nach unseren Vorstellungen ging? Eigentlich haben wir kein Recht umzukehren. Solange aber Gott als Vater auf uns wartet, dürfen wir es wagen.

Man erzählt eine seltsame Geschichte von Alexander dem Großen: Wenn er eine Stadt belagerte, dann steckte er ein Licht an. Wenn sich die Stadt ergab, solange das Licht brannte, überhäufte er sie mit Gnade und Ehre. War das Licht abgebrannt, dann gab’s keine Gnade mehr, sondern nur noch Zorn, Schwert und Gericht.

In 2. Korinther 6,2 schreibt Paulus: „Gott sagt: Zur Zeit der Gnade habe ich dich erhört, und am Tage des Heils habe ich dir geholfen. Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils“. Weil jetzt die Zeit der Gnade ist, macht sich der Sohn auf. Gerade so wie er ist – nach Schwein stinkend und dreckig. Er hat sich nicht zuerst schön gemacht, um so gut wie möglich vor seinem Vater dazustehen. Dass er so kommt, wie er ist, zeigt, dass er es nichts mehr auf sich einbildet. Machen wir uns doch jetzt auch so auf zu unserem himmlischen Vater – so wie wir sind.

Text: Hanspeter Obrist

Auszug aus dem Buch

Der barmherzige Vater
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