Aus jüdischer Sicht bezieht sich Jesaja 53 nicht auf Jesus

F: Aus jüdischer Sicht bezieht sich Jesaja 53 nicht auf Jesus. Für die Juden geht es in diesen poetischen Liedern nicht um einen Messias oder König. Natürlich haben sich die Autoren des NT auch bemüht, das NT auf dem AT basieren zu lassen.

Hallo F., nicht alle Juden verstehen und verstanden Jesaja 53 so, wie du es beschreibst. Mir haben schon Juden berichtet, dass sie dachten, es werde aus dem Neuen Testament vorgelesen, als sie die Stelle in Jesaja 53 hörten.

F:  Das, was ich beschrieben habe, ist die gängige Sicht im orthodoxen Judentum. Du wirst trotz aller Meinungsverschiedenheiten niemanden finden, der orthodox ist und diesen Text auf Jesus bezieht.

Hallo F., vielleicht nicht auf Jesus, aber durchaus auf einen Messias. Zuletzt hat die Chabad-Bewegung, eine chassidische Gruppierung innerhalb des orthodoxen Judentums, Jesaja 53 auf ihren 1994 verstorbenen Rebbe (und Messias) Menachem Mendel Schneerson bezogen.

Nach dem jüdischen Lexikon kennt das Judentum einen Messias Ben Josef und einen Messias Ben David. Ben Josef ist ein leidender Messias, der stirbt; Ben David ist der siegreiche Messias.

Zur Aussage „In diesen poetischen Liedern geht es nicht um einen Messias oder König“ möchte ich folgendes anmerken:

Rabbi Moses Alschech (1508-1600) sagte: „Unsere Rabbiner nehmen einstimmig an und bekräftigen die Meinung, dass der Prophet (Jesaja) von dem König Messias spricht, und wir werden uns selbst auch derselben Ansicht anschließen.“

Rabbi Yefet Ben Ali (zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts) sagte: „Ich selbst bin geneigt, es als auf den Messias hinweisend anzusehen.“

Zur Aussage „Du wirst aber trotz aller Meinungsverschiedenheiten niemanden finden, der orthodox ist und das auf Jesus bezieht“ möchte ich folgende Gedanken äußern:

Natürlich werde ich keine orthodoxen Juden, sondern nur messianische Juden oder Judenchristen finden, die Jesaja 53 auf Jesus beziehen, doch das liegt in der Natur der Sache. Orthodoxe Juden lehnen Jesus als Messias ab und würden sich mit einer solchen Aussage vollkommen widersprechen. Doch auch Rabbiner sagten Erstaunliches:

So sagte Abraham Farissol (1451-1526): „In diesem Kapitel finden sich scheinbar ansehnliche Ähnlichkeiten und Anspielungen auf das Werk des Messias der Christen und auf die Ereignisse, die – wie man beansprucht – ihn betrafen. Es wird keine andere Prophetie gefunden, deren Hauptgrund und Thema so unmittelbar auf ihn bezogen werden könnte.“

Rabbiner Dr. Max Werheimer fand aufgrund von Jesaja 53 zum Glauben an Jesus als den Messias. Er schreibt: „Besonders beeindruckte mich das 53. Kapitel des Jesaja und darin der Schluss des elften Verses: ‚Durch seine Erkenntnis wird mein gerechter Knecht viele rechtfertigen, denn Er wird ihre Missetaten auf sich laden.‘ Hier war die einzige Erwähnung der Bezeichnung ‚mein gerechter Knecht,‘ die ich finden konnte. Diese Bezeichnung ist nirgendwo anders, weder im Alten noch im Neuen Testament des Wortes Gottes zu finden. Wir haben ‚David mein Knecht,‘ ‚Jesaja mein Knecht,‘ ‚Daniel mein Knecht,‘ doch hier ist es ‚Mein gerechter Knecht.‘ Ich fragte mich: ‚Wer ist dieser gerechte Knecht? Auf wen weist der Prophet hin?‘ Ich argumentierte: Wer auch immer dieser gerechte Knecht JHWH‘s ist, dessen bin ich sicher: Er ist nicht Israel, denn der Prophet bezeichnet Israel als eine sündige Nation, ein Volk belastet mit Ungerechtigkeit, eine aussätzige Nation. Der gerechte Knecht JHWH‘s muss einer sein, der heilig ist. Wenn es nicht Israel ist – wer könnte es dann sein? Jesaja? Nein, denn in Jesaja 6 bezeichnet er sich vor Gottes Angesicht als schuldigen Sünder, als Mann unreiner Lippen. ‚Mein gerechter Knecht‘ – wer könnte es nur sein? Ich begann nun das 53. Kapitel im Zusammenhang mit anderen Kapiteln zu studieren und fand in Jesaja 50,6: ‚Ich bot meinen Rücken den Schlagenden.‘ Wer bot seinen Rücken den Schlagenden?, überlegte ich. Am Anfang des Kapitels heißt es: ‚So spricht JHWH.‘ JHWH gab seinen Rücken den Schlagenden? Hat JHWH einen Rücken? Wann und warum wurde Er geschlagen? Wer schlug ihn? Ich las weiter: ‚Und meine Wangen bot ich dar denen, die die Haare ausrauften.‘ Und noch weiter: ‚Ich verbarg mein Angesicht nicht vor Schmach und Speichel.‘ Was bedeutet das alles? Wer war so misshandelt worden? Wann? Warum? Hatte JHWH all diese menschlichen Eigenschaften? Ich studierte mehr und mehr verschiedene prophetische Äußerungen. In Psalm 110,1 steht geschrieben: ‚JHWH sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde mache zum Schemel deiner Füße.‘ Hier war es David, welcher von seinem eigenen Samen sprach und ihn ‚Herr‘ nannte. Wie kam er dort hinauf zur Rechten des Herrn? Warum erwähnt Gott das nicht besonders? Warum sprach er nicht so einfach zu Israel, dass jeder Jude es verstehen konnte? Verwirrt entschloss ich mich, beim ersten Kapitel des Buches Jesaja zu beginnen und das ganze Buch durchzulesen. Beim neunten Kapitel stockte ich: ‚Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und man nennt seinen Namen: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.‘ Hier war etwas ganz Unbegreifliches! …“ *1

Ebenso war Rabbiner Asher Levy von dieser Stelle bei Jesaja fasziniert: „Ich las dieses allgemein bekannte Kapitel: ‚Er war um unserer Übertretungen willen verwundet und um unserer Missetaten willen zerschlagen wurde.‘ Innerlich gedrängt durchforschte ich dann die hebräischen Schriften und fand beim selben Propheten diese Worte: ‚Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Fürst des Friedens. Groß ist die Herrschaft und der Friede wird kein Ende haben auf dem Thron Davids und über seinem Königreich, es zu festigen und zu stützen durch Recht und Gerechtigkeit, von nun an bis in Ewigkeit. Der Eifer des HERRN der Heerscharen wird dies tun‘ (Jesaja 9,6+7). Auch las ich: ‚Höret doch, Haus David! Ist es euch zu wenig, Menschen zu ermüden, dass ihr auch meinen Gott ermüdet? Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und wird seinen Namen Immanuel nennen‘ (Jesaja 7,13+14). Immanuel bedeutet ‚Gott mit uns.‘ Dies gab mir den Beweis, dass Jesus der Messias war und ist, in dem alle Prophezeiungen ihre Erfüllung fanden.“

Spannend ist auch, was in Talmud Sanhedrin (98b) steht: „Messias … was ist Sein Name? Die Jünger der Schule des Rabbi (Jehuda HaNassi, des Verfassers der Mischna) sagten: Cholaja (der Kranke), denn es ist geschrieben: Fürwahr, er trug unsere Krankheiten … (Jesaja 53,4)“.

Ich möchte noch einige interessante Gedanken zur Person des Messias anfügen, die von jüdischen Rabbinern geäußert wurden:

Rabbi Simeon Ben Jochai (2. Jahrhundert), Sohar, Teil II, Seite 212a und III, Seite 218a, Amsterdamer Ausgabe: „Da ist im Garten Eden ein Palast, genannt ‚der Palast der Söhne der Krankheit‘; in diesen Palast geht der Messias und fordert alle Krankheit, jeden Schmerz und jede Strafe: Die alle kommen und ruhen auf Ihm. Und wäre es nicht, dass er sie so von Israel abgehoben und auf sich genommen hätte, dann wäre kein Mensch fähig gewesen, Israels Strafe für Gesetzesübertretung zu tragen; und dieses ist es, was geschrieben steht: Fürwahr, er trug unsere Krankheiten (Jesaja 53,4)“.

Vom gleichen Rabbi Simeon Ben Jochai lesen wir in Sohar, Teil III, Seite 218a weiter unten: „Als der Heilige, gesegnet sei Er, die Wiederherstellung der Kinder der Welt wünschte, marterte Er eine gerechte Person aus ihrer Mitte, und um seinetwillen, sind alle geheilt. Woher weiß man das? Es steht geschrieben: ‚Um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Missetaten willen zerschlagen …., und durch seine Wunden ist uns Heilung geworden‘ (Jesaja 53,5)“.

Rabbi Elija de Vidas (16. Jahrhundert) sagte: „ ‚Er war verwundet um unserer Übertretungen willen, um unserer Missetaten willen zerschlagen‘ hat die Bedeutung: Weil der Messias unsere Übertretungen trägt, welche die Wirkungen haben, dass Er zerschlagen ist, so folgt, dass wer nicht zugeben will, dass der Messias so für unsere Missetaten leidet, der muss sie selbst durchstehen und erleiden.“

Rabbi Eleazer Kalir (9. Jahrhundert) schrieb das folgende Musaf-Gebet: „Unser gerechter Messias ist von uns gewichen. Schrecken hat uns ergriffen, und wir haben keinen, der uns rechtfertigt. Er hat unsere Übertretungen getragen und das Joch unserer Missetaten und ist verwundet worden wegen unserer Übertretungen. Er trug unsere Sünden auf seinen Schultern, damit wir Begnadigung fänden für unsere Ungerechtigkeit. Wir sollen geheilt werden durch seine Wunden zu der Zeit, wenn der Ewige Ihn neu erschaffen wird.“

Und nun noch meine persönliche Beobachtung: Leider ist durch das Leiden des jüdischen Volk den Nationen keine Heilung geworden und kein Frieden entstanden (Jesaja 53,5). So muss es also ein Messias sein, der unsere Krankheit trug, um Frieden und Rettung zu bringen. Die Frage ist also, wen wir als Messias Ben Josef anerkennen wollen?

*1 Ein Mensch erhält göttliche Titel und in ihm begegnet uns Gott. Ein Mensch kann nie Gott sein, aber Gott kann Mensch sein.

Ein Gedanke zu „Aus jüdischer Sicht bezieht sich Jesaja 53 nicht auf Jesus“

  1. Es ist doch äußerst unwahrscheinlich, dass ein jüdischer Prophet „wir“ sagt und damit die Nationen außerhalb Israels meint. Mit „wir“ meint ein jüdischer Prophet doch sich selbst und sein Volk, sein jüdisches Volks. Deshalb kann der Schmerzbeladene, der hier genannt wird, nicht das jüdische Volk sein sondern muss ein jüdischer Mensch sein, der Menschensohn, der Messias, ein Messias.
    Das muß der leitenden jüdischen Kaste auch durchaus bewusst sein und die Brisanz die in diesem Text steckt, weil dieser Text nämlich durchaus auf Yoshua, Jesus hinweisen könnte. Deshalb ist dieser Text auch verbannt worden, er darf nicht mehr in Synagogen bei den regelmässigen Lesungen vorgelesen werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert