Flüchtlinge sind ein Symptom unserer Ignoranz

Als Gesellschaft und als Individuen werden wir unbewusst von unseren Prägungen bestimmt. Wie bei einem Eisberg wird von uns nur das wahrgenommen, das im Bewussten passiert, doch das Entscheidende läuft im Verborgenen ab. So erscheinen manche Handlungen oder Aussagen als irrational, haben aber ihre Ursachen. Wer das begreift, konzentriert sich nicht mehr auf die Symptome, sondern sucht nach den unbewussten Ursachen einer Reaktion.

Innerseelische Unausgeglichenheit führt dazu, dass man diese kompensieren will. Um unsere Ängste, Unzufriedenheit, Unruhe und Ähnliches zu kompensieren, geraten schnell Leistung, Erfolg, Macht und Besitz im Fokus. Je grösser dieses Streben ist, desto grösser ist der unterbewusste seelische Schaden des Einzelnen oder der Gesellschaft. Alles wird in Normen gepresst. Die schöpferische Vielfalt wird zum Störfaktor. Wir werden zu Konkurrenten, statt einander zu ergänzen.

Aus dieser Hilfslosigkeit entsteht schnell eine Haltung, die Projektion genannt wird. Ich denke, dass an meinem Unglück andere schuld sind. Damit ich glücklich sein kann, müssen die anderen mich glücklich machen. Was man dabei vergisst: Kein Mensch kann mich glücklich oder unglücklich machen. Ich entscheide selbst, wann ich glücklich bin. Natürlich kann mir das durch mein Umfeld schwerer oder leichter gemacht werden, doch die Entscheidung liegt bei mir. Ich entscheide mich, glücklich oder ständig unzufrieden zu sein.

Viele flüchten sich auch in eine Selbsterhöhung und eine Fremdabwertung. Sind die Kräfte einigermassen gleich verteilt, dann funktioniert dieses System auch. Doch wenn die Mehrheit einer Gesellschaft einer Meinung ist – was alle denken, kann ja nicht falsch sein – fällt alles aus dem Gleichgewicht. Wenn Menschen nicht mehr sagen können, was sie denken und glauben, entsteht ein Terror politischer oder gesellschaftlicher Korrektheit.

Der Drang, normativ zu sein, führt zu einer Projektion von Gut und Böse. Man braucht gesellschaftliche Feindbilder. Es kommt zu primitiven Spaltungen. Der Querdenker oder Kritiker wird dämonisiert und kalt gestellt. Anstatt von Selbstbeurteilung und Neuorientierung entsteht ein verborgener oder auch offener Krieg.

Oft streiten wir auf der Symptomebene und versuchen diese einzudämmen, statt über die Ursachen nachzudenken. Oder man erhöht eine Person zum Retter, um ihn dann wieder fallen zu lassen. Was wir projizieren, hat mit unserem Mangel zu tun.

Weil wir uns selbst nicht einschränken und zu unseren Schwächen und Grenzen stehen wollen, projizieren wir ein Schlaraffenland. Wir werten andere Länder ab und zelebrieren mit unseren Medien ein unrealistisches Leben. Natürlich wissen wir alle, dass dies nichts mit dem wirklichen Leben zu tun hat. Doch ein Mensch in einem krisengeschüttelten Land wird das nicht erkennen können. Wenn er dann noch hört, dass hier alle willkommen sind, gratis einen Anwalt bekommen und ab sofort alle Lebens- und Krankheitskosten bezahlt werden, dann muss sich doch jeder mit gesundem Menschenverstand auf den Weg machen.

Unser Drang, alles als Show zu zelebrieren, wird uns selbst zerstören. Unsere Selbstdarstellung wird wie ein Sog Menschen aus aller Welt anziehen. Doch wenn durch die grosse Anzahl der Neuankömmlinge die Erwartungen nicht mehr gestillt werden können, besteht die Gefahr, dass man sich einfach bedient. Dazu kommt, dass einige der Neuankömmlinge in einer Kultur aufgewachsen sind, in der derjenige, der nichts hat, das Recht hat, vom Besitzenden zu nehmen, bzw. wo es selbstverständlich ist, alles miteinander zu teilen.

In einer solchen Kultur versuchte einmal jemand den Menschen beizubringen, dass es gut ist, einen Garten anzulegen. Einer wollte es versuchen. Doch er stellte fest, dass immer wieder Gemüse fehlte. Als die Sache untersucht wurde, sagte er zu den anderen: „Es ist nicht recht, dass ihr aus meinem Garten die Sachen mitnehmt.“ Darauf bekam er die Antwort: „Wuchs es unter deiner oder unserer Sonne?“

Wo müssen wir ansetzen?

Zuerst müssen wir unsere eigene innere Lebensbalance finden. Wir müssen neu überlegen, was ein glückliches Leben ausmacht: Selbstbeschränkung, Selbstbestimmung und ein gesunder Selbstwert. Alles gibt man sich selbst. Wer zum Beispiel akzeptiert, dass Gott ihn liebt, der muss nicht mehr nach menschlicher Kompensation suchen. Glück ist, wenn ich täglich für mehrere Dinge danke und für alles, was mir gut tut, dankbar bin.

Als zweites müssen wir aufhören, eine übersteigerte Selbstdarstellung zu pflegen. Das Leben besteht aus Zeiten des Mangels und Momenten des Glücks. Warum also nicht auch über Misserfolge sprechen, damit wir alle daraus etwas lernen können?

Wir sollten den Wohlstand nicht durch Willkommensgeschenke zelebrieren, sondern aufzeigen, dass eine Gemeinschaft nur durch Freigiebigkeit und Solidarität (Steuern) leben kann. Es gibt kein Schlaraffenland. Alle müssen zuerst geben, damit man in der Not empfangen kann. Jeder soll sich nach seinen Möglichkeiten in die Gesellschaft einbringen (arbeiten). Hier muss ein Umdenken stattfinden. Statt sich nur an der Effizienz bzw. Wirtschaftlichkeit von Arbeitsstellen zu orientieren, sollte Arbeit in erster Linie menschenwürdig sein. Wahrscheinlich wird das langfristig zu einem tieferen Lohnniveau führen, was beispielsweise bedeuten kann, dass wir in einfacheren Wohnungen leben werden. Es muss jedoch das Ziel sein, dass jeder einen sinnvollen Beitrag leisten kann, anstatt dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft nur noch zwischen geschröpften Verdienenden und Hilfsempfängern besteht.

Auch unsere Gesetze müssen wir den veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Durch die globale Kommunikation und Reisemöglichkeiten können nicht alle vom Sozialstaat profitieren, ohne vorher einen Beitrag zu leisten. Im Gegenzug müssen wir helfen, dass auch in anderen Ländern eine gesunde Existenz aufgebaut werden kann, indem wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln Angebote machen. Eine Möglichkeit sind Geschäftskredite kombiniert mit Beratung und der Möglichkeit, Erspartes sicher anzulegen. Es braucht stabile Rahmenbedingungen statt die unberechenbaren Preise der freien Marktwirtschaft.

Text: Hanspeter Obrist

Vergleiche: Andere besser verstehen lernen – Transkulturelle Kommunikation – wenn Menschen unterschiedlicher Kulturen aufeinander treffen …

 

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